JC 77100 / 77200: ÖBB Bih 39700

Die ersten Nachkriegsjahre hinterließen bei den jeweiligen Bahnverwaltungen eine Vielzahl unterschiedlicher Wagentypen. Darüber hinaus befanden sich diese Wagen in unterschiedlich guten Zustand. Teilweise waren diese Altbauwagen nicht mehr zeitgemäß, weshalb ein Umbauprogramm beschlossen wurde. Bei der DB entstand Flotte an drei- oder vierachsigen Umbauwagen. Die DR schuf die zwei- oder dreiachsigen Reko-Wagen. Die ÖBB hat gegen Ende der 1940er Jahre das Spantenwagenprogramm entwickelt, indem auf alten Fahrgestellen neue Wagenkästen aus Stahl in geschweißter Konstruktion aufgesetzt wurden. Das Spantenwagenprogramm wurde mindestens 15 Jahre verfolgt, mehr als 2.000 Personenwagen sind bei den Hauptwerkstätten St. Pölten, Simmering, Feldkirch und Jedlersdorf/Floridsdorf in mindestens 100 verschiedenen Bauarten entstanden. Die Hauptwerkstätten schufen dabei Spantenwagen mit unterschiedlicher Anzahl an Seitenfenstern. Die ÖBB haben dabei mehrere Serien von sechsfenstrigen Spantenwagen geschaffen, wobei diese Wagen alle Unterschiede aufwiesen und folgende Parameter betreffen: Herkunft, Achsstand, Länge über Puffer. Grundsätzlich wurden alle Spantenwagen mit sechs Fenstern mit Fallfenster gefertigt. Es gibt lediglich eine Bauserie, die über Halbfenster verfügt. Es sind die die Bi(h) 35072 bis 35199, welche in der zweiten Hälfte der 1950er entstanden sind. Die von Jägerndorfer Collection gewählten Wagen gehören der Nummerngruppe 39700 bis 39757 an. Diese Wagen stellen Umbauten von SGP Graz in den Jahren 1954/55 dar, welche auf alten Behelfspersonenwagen der Bauart MCi-43 erstellt worden sind. Diese Spantenwagen sind 12,3 m lang, 8 m Achsstand und 44 Sitzplätze. Darüber hinaus wurden auch Wagennummern der vorigen Nummerngruppe (39620ff) verwendet. Diese Wagen sind aus ehemaligen Wagen preußischer Herkunft entstanden und weisen eine LüP zwischen 12,0 und 13,08 Meter auf sowie einen Achsstand von 7,5 Meter. Die einzige Wagengruppe mit Übersetzfenster (35072ff) haben ihre Herkunft aus KkStB-Wagen nach der Normalie Ib, Diese Wagen haben eine LüP von 11,3 Meter und einen Achsstand von 7 Metern.

Modellvorstellung

Modelle mit sieben Fenstern wurden zunächst von Klein Modellbahn bzw. Roco aufgelegt, erhältlich waren auch Modelle mit fünf Fenstern. Als Jägerndorfer Collection im Jahr 2021 Modelle von ÖBB-Spantenwagen mit sechs Seitenfenstern ankündigte, war natürlich die Freude groß. Denn endlich wurde eine Neukonstruktion mit neuer Wagenbauart angekündigt, die gerade in den 1950er bis 1970er Jahren den Regional- und Nahverkehr auf Österreichs Bahnstrecken prägte.

Jägerndorfer hat dabei vier Sets angekündigt. Zwei Sets sind Modellen in der Ausführung der Epoche III gewidmet, die anderen zwei der Epoche IV. Dabei wurden Modelle mit Fall- oder Ganzfenster bzw. Übersetzfenster angekündigt. Diese hätte es auch beim Vorbild gegeben, hätte sich Jägerndorfer Collection mehr mit dem Vorbild auseinandergesetzt und nicht wie jetzt vorliegend, absolute Phantasiemodelle zum horrenden Preis von € 189,– UVP geschaffen. Wieso gerade dieser Hersteller sich diese anschließende Geißelung der Kundschaft antut, mag verstehen, wer will? Oder ist man dort der Meinung, die mangelnde Kenntnis der zahlenden Kundschaft zum Vorbild kompensiert jegliche unterlassene Recherche zum Vorbild und das Studium über das Vorbild.

Die Modelle von Jägerndorfer werden in Dreiersets ausgeliefert. In den Kartonschachten sind zweiteilige Blisterverpackungen eingelegt, in denen die Modelle zusätzlich mit Folien umwickelt sind und in den entsprechenden Ausnehmen eingelegt sind. Darunter befinden sich noch pro Modell ein Zurüstbeutel. Im Zurüstbeutel sind Bauteile für die Pufferbrust abgelegt, aber auch Zurüstteile, bei denen nicht klar ist, wohin diese ins Modell einzusetzen sind, weil sich eben die Beschreibung dazu ausschweigt. Die Fertigung der Fahrzeuge erfolgt aus Kunststoff. Die Modelle werden bereits ab Werk mit einer LED-Innenbeleuchtung ausgeliefert. Diese Platine hierzu befindet sich im Dachbereich. Es besteht die Möglichkeit, diese auszuschalten. Hierfür wurde den Modellen eine sechspolige Digitalschnittstelle nach NEM 651 eingebaut.

Wie eingangs schon erwähnt, stellen die ausgelieferten Modelle „Phantasiemodelle“ zum Vorbild dar. Man kann sich über solche Schnitzer gerade im 21. Jahrhundert nur mehr wundern, zumal zum Zeitpunkt der Entscheidung, die Wagen zu fertigen, noch entsprechende Personen mit Fachwissen gelebt hätten. Die Modelle weisen daher folgende Mängel auf:

* Verbau von Radsätzen für Wechselstromgleise, damit ist ein geräuschloser Einsatz auf dem 2,1 mm-RocoLine-Gleis nicht möglich.
* Es gibt Hinweise, daß diese Achsen Probleme beim Befahren von Kreuzungsweichen machen.
* Teilweise Verwendung falscher Wagennummern auf den Modellen.
* Das Bühnengeländer wurde von einem Museumswagen der ÖGEG abgeleitet, der zwar die ÖBB-Nummer 39758 trägt und man vermuten könnte, daß dieses Vorbild noch in die entsprechende Wagengruppe gehört. Das Vorbild wurde zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt umgebaut, deren Spender eine andere Wagenbauart ist. Das dabei heute noch existierende Bühnengeländer entstammt eines späteren Umbaus und hat nichts mit dem Ablieferungs- und Ausführungszeitpunkt der Modelle zu tun! Warum der Hersteller aber auch korrekte Abbildungen im Katalog zeigt, wissen wohl auch nur die Götter von einem anderen Stern.
* Die Achslager sind als Rollenlager ausgeführt, anstatt diese als Gleitlager auszuführen.
* Der Aufdruck bei den Stirntüren „Der Aufenthalt auf der Plattform ist verboten“ ist in diesem Sinne nicht überliefert und wurde selbst bei Vorbildwagen nie gesehen.
* Aufdruck von Klassenziffern, die es nach 1956 (Zweiklassenschema) nicht mehr gab!
* Über die Verwendung der Nichtraucher-Piktogramme kann man streiten. Die ÖBB haben diese erst nach 1975 bei den neuen Schlierenwagen im Jaffa-Look eingeführt.
* Dem Vernehmen nach sind die Stangen zum Dach mit diesem verklebt, sodaß eine Abnahme des Daches alles andere als einfach ist.
* Unvollständige Darstellung der Untersuchungsdaten. Die Anschriften am Langträger sind unvollständig. Es fehlen die Symbole für Lenkachsen, die Angaben zum Schmierplan sowie Heizung, Beleuchtung und Lichtmaschinenriemen. Das Lackraster und jenes zur Tauschgruppe sind ebenfalls nicht aufgedruckt.

Abschließend noch die Frage, was kann sich bei den Modellen sehen lassen?

Die Modelle sind fertigungstechnisch am aktuellen Stand der Technik und Zeit ausgeführt. Die Trittstufen zu den Plattformen weisen feine Detaillierungen und die Nachbildung der Trittroste auf, allerdings finden sich diese eben nur bei den heutigen Museumswagen. Die Wagen hatten bei Indienststellung Holzbohlen. JC hat auch den Wagenboden nachbildet und die Bremssteller farblich abgehoben. Die Ausbildung der Fenster weiß zu gefallen, wenn man von den anderen Fehlern einmal absieht. Positiv hervorzuheben ist u. a. die Nachbildung der Fabrikschilder unter dem Bühnengeländer oder auch die Aufhängung der Trittstufen. Beim Einsetzen einer Roco-Kurzkupplung beträgt der Pufferstand sagenhafte 3 mm.

Conclusio

Es ist nicht der erste Vorfall, daß Jägerndorfer bei Neukonstruktion derart daneben gegriffen hat, was folglich zu entsprechender Kritik beim Kunden geführt hat. Die Umsetzung der ÖBB-Reihe 1062 hätte der Firmenleitung zu denken geben müssen. Daß man damals noch mit irgendwelchen Begründungen versuchte, es schön zu reden, mag vielleicht kurze Zeit gefruchtet haben. Letztendlich mußte der Hersteller klein beigeben und ein neues Gehäuse konstruieren. Unschön waren auch die Szenen vor dem Messestand des Herstellers, als der Herausgeber eines Zeitschrift lautstark niedergemacht wird, wiewohl der damalige Kritiker die Mißgeschicke ausschließlich sachlich argumentierte.

Unverständlich ist deshalb, daß man aus früheren Vergehen nicht gelernt hat und weiterhin auf eine derart schlampige Recherche zum Vorbild setzt. Was JC uns als Neukonstruktion vorsetzt, wurde von einem Museumswagen im gegenwärtigen Erscheinungsbild der ÖGEG abgeschaut, ohne dabei die baulichen Veränderungen über die letzten 60 Jahre zu berücksichtigen. Auch der Blick in die entsprechende Literatur sowie auch der Kontakt zu namhaften Kennern des Vorbildes hätten diese erneute Pleite bei JC hintangestellt.

Wie aus entsprechenden Forenbeiträgen ersichtlich ist, wurde der Hersteller mit den zahlreichen Problemen konfrontiert. Und es gibt sogar schon eine erste Reaktion dazu, indem verschiedene Nachbesserungen angesprochen wurden. Es ändert aber nichts an der Tatsache, daß all dies infolge besserer Vorbildrecherche vermeidbar gewesen wäre.


Bilder 77100/1

Die Modelle mit dieser Artikelnummer sind mit Übersetzfenster ausgeführt. Das Modell ist mit der Betriebsnummer Bih 39703 bedruckt, ist in Wien Westbhf stationiert und weist die Revisionsdaten REV 18.08.72 am Langträger auf. Bei allen Modellen wurde auf die Angabe der Erhaltungswerkstätte verzichtet.


Bilder 77100/2

Das zweite Modell ist als Bih 39732 ausgeführt. Interessanterweise wurde bei diesem Modell die Klassenziffer „2“ aufgedruckt. Diese Schilder waren bei keinem der Spantenwagen während der ÖBB-Zeit angebracht. Heimatbahnhof ist wiederum Wien Westbhf. Die Revisionsdaten lauten auf REV 10.08.72.


Bilder 77100/3

Der dritte Wagen ist als Bih 39755 angeschrieben und in Linz Hbf beheimatet. Seine Revisionsdaten lauten auf REV 04.01.72.


Bilder 77200/1

Dieser Spantenwagen wurde mit einer Wagennumer der vorigen Wagengruppe versehen, er weist die Fahrzeuganschriften Bih 39663 auf. Auch dieser ist in Wien Westbhf stationiert und weist die Untersuchungsdaten REV 18.06.74 auf.


Bilder 77200/2

Das zweite Modell in diesem Set wurde als Bih 39752 ausgeführt, der in Salzburg Hbf mit den Untersuchungsdaten REV 10.12.73 stationiert ist.


Bilder 77200/3

Auch dieses Modell ist in Salzburg Hbf stationiert, wurde aber als Bih 39701 ausgeführt und ist mit den Revisionsanschriften REV 08.08.73 versehen.