Piko 50604: DR 78 469

Die Preußisch-hessischen Staatsbahnen hatten für eine Schnellzug-Tenderlokomotive durchaus Bedarf. Dieser war auf den Strecken Frankfurt am Main – Mainz, Frankfurt am Main – Wiesbaden und Altefähr – Saßnitz auf der Insel Rügen vorhanden, wo man das zeitaufwendige Wenden von Schlepptenderlokomotiven vermeiden wollte oder wo keine Wendemöglichkeit – u. a. eine geeignet lange Drehscheibe – vorhanden war. Die von Robert Garbe entwickelte T 10 war als 2′ C-Konstruktion mit 1.750 mm Kuppelraddurchmesser unbrauchbar für Rückwärtsfahrten. Die KED Stettin, der die Strecke Altefähr – Saßnitz unterstand, hatte den Einsatz der Lokomotive dankend abgelehnt. Weil von einer Tenderlok gleich gute Laufeigenschaften in beiden Fahrtrichtungen gefordert werden, ist ein symmetrischer Achsstand nicht Bedingung, aber sehr empfehlenswert. Die übereinander gezeichneten Skizzen von T 10 von T 18 offenbarte, was der T 10 zu einer für ihren Bestimmungszweck brauchbaren Lokomotive fehlte, nämlich die Nachlaufachsen.

Die Stettiner Vulcan-Werft, die 1912 die ersten Lokomotiven der Gattung T 18 an die Preußisch-Hessischen Staatsbahnen lieferte, hat die Tenderlokomotive mit der Achsfolge 2′ C 2′ nicht erfunden. Maffei in München lieferte bereits ab 1903 an die spanische MZA 21 Zwillingslokomotiven dieser Achsfolge. Henschel hatte ein Jahr später mit der übergewichtigen Vierzylinder-Verbundlok der Gattung T 16 einen Mißerfolg erlebt. Im selben Jahr lieferte die Chemnitzer Lokomotivanstalt von Richard Hartmann sechs Verbundlokomotiven an die italienischen Staatsbahnen (FS). Die französische Ostbahn bezog 1905 von Belfort 40 Verbundlokomotiven dieser Achsfolge. Hinzu kamen noch 61 Maschinen von Grafenstadten 1906 bis 1913 für Elsaß-Lothringen (EL); weitere fünf lieferte Humboldt. Auch nach der T 18 sind von den Niederlanden (1913), Frankreich (Nordbahn) und Belgien im selben Jahr sowie von der PLM ein Jahr später Lokomotiven der Achsfolge 2′ C 2′ beschafft worden.

Die T 18 war eine ganz normale und vernünftige preußische Lokomotive ohne jede Garbeschen Exzentrizitäten, die deshalb auch ein hohes Dienstalter erreichte. Die preuß. P 8 stand beim Kessel Pate, jedoch mußte wegen des hinteren Drehgestells die Rostfläche von 2,63 m² auf 2,44 m² verkleinert werden. Bei Tenderlokomotiven, besonders wenn sie im Streckendienst und gar im Schnellzugdienst Verwendung finden sollen, muß man auf die Unterbringung möglichst großer Vorräte bedacht sein. Etwa 50 % des Wasservorrates waren im Rahmenwasserkasten untergebracht. Die amtliche Beschreibung aus dem Jahre 1915 formuliert: „Der Langrahmen besteht aus zwei durchgehenden 30 mm starken Blechen, die zur Aufnahme eines möglichst großen, zwischen derselben liegenden Wasserkastens über den Achsausschnitten eine große Höhe erhielten, wodurch gleichzeitig die für das Anheben dieser langen und schweren Lokomotive bei Abstützung in zwei Punkten notwendige Festigkeit in senkrechter Richtung erzielt wurde. Der untere Wasserkasten erstreckt sich von der Feuerbüchse bis Vorderkante Rauchkammer und bildet auf dieser Länge eine gute Versteifung des Rahmens in waagrechtem Sinne. Zwischen der ersten Kuppelachse und der Triebachse befindet sich unter dem Boden des Wasserkasten ein großer Sammelbehälter, in den die Saugrohre der Speisevorrichtung münden“.

Die drei gekuppelten Radsätze waren fest im Rahmen gelagert, jedoch hatten die Räder des mittleren Kuppelradsatzes 15 mm Spurkranzschwächung. Die beiden zweiachsigen Drehgestelle waren beidseitig 40 mm seitenverschiebbar. Zylindermitte und Schornsteinlängsachse lagen in einer Ebene, bei Einheitslokomotiven meist eine Selbstverständlichkeit, bei preußischen Bauarten meist eine Ausnahme. Die Zylinder hatten 560 mm Durchmesser und 630 mm Kolbenhub sowie angeschraubte Ausströmkästen. (Damals sagte man noch Auspuffkasten.) Die Kolbenschieber entsprachen der Bauart Schichau mit doppelter Einströmung; die äußere Steuerung entsprach der Bauart Heusinger. Der Sandkasten hatte beidseits nur zwei Fallrohre, aus denen mit Druckluft die Räder des 1. Kuppelradsatzes bei Vorwärtsfahrt, die des 3. Kuppelradsatzes bei Rückwärtsfahrt gesandet wurden. Die ersten Maschinen sind ohne Vorwärmer ausgeliefert worden. Erst ab 1914 rüstete man sie mit dem flachen Vulcan-Vorwärmer, ab 1916/17 mit dem runden der Bauart Knorr aus. Der Vorwärmer lag unterhalb der Rauchkammer quer auf dem Rahmen und war mit einem Trittblech zum Reinigen der Rauchkammer versehen.

Die Preußisch-hessischen Staatsbahnen bauten von dieser Schnellzugs-Tenderlokomotive bis zum Jahr 1923 insgesamt 482 Fahrzeuge. Der Bau der Loks erfolgte zunächst bei den Vulcan-Werken in Stettin, weiters bei Henschel, Hanomag und Franco-Belge. Andere deutsche Bahnverwaltungen bestellten von der Gattung T 18 weitere 74 Fahrzeuge, und einige Maschinen wurden sogleich ins Ausland geliefert. Die Deutsche Reichsbahn übernahm 480 Lokomotiven preußischer Herkunft und die 20 Lokomotiven aus Württemberg, die als 78 146 bis 165 umgezeichnet wurden. Später kamen noch die Lokomotiven der Saarbahnen und der ELE hinzu. Die DB übernahm nach dem Zweiten Weltkrieg 424 Lokomotiven, bei der DR verblieben 53 Maschinen. In Polen verblieben 29 Maschinen, die nunmehr als OKo 1 bezeichnet wurden und bis 1975 im Einsatz standen. Der Bestand der DB 78er reduzierte sich bis 1968 auf ca. 35 Lokomotiven. Die Reichsbahn-78 erhielten dagegen ab 1965 noch Witte-Windleitbleche und Giesl-Ejektoren eingebaut. Die DB schied ihre letzte T 18 Mitte der 1970er Jahre aus, bei der DR endete der Einsatz auch in diesem Jahrzehnt.

Modellvorstellung

Obwohl der Sonneberger Hersteller noch aus früheren DDR-Zeiten Dampflokmodelle fertigte, gab es nach der Wende und unter der damals neuen wie aktuellen Eigentümer keine Neukonstruktion in dieser Traktionsart. Piko „übte“ und lebte sein Können vorab bei den Elektrolokomotiven und Verbrennungsfahrzeuge sowie neumodischen Triebzügen aus.

Das positive Echo bei den letzten Neukonstruktion ebnete den Weg für eine Überraschung im Neuheitenprogramm 2020. Darin befand sich die Ankündigung für die Produktion der ersten Dampflok der jüngeren Firmengeschichte. Als Vorbild wurde die preuß. T 18 gewählt, die Piko als DB- und DR-Version in jeweils vier verschiedenen Ausführungen ankündigte.

Zur Vorstellung gelangt das DR-Modell in der Ausführung der Epoche III. Die als 78 469 beschriftete Lok ist als Gleichstrom-Modell unter der Artikelnummer 50604 zum UVP von € 299,99 erhältlich, die Wechselstrom-Ausführung unter der Artikelnummer 50605 zum UVP von € 339,99 – beide Modelle ohne Loksound. Die Soundversionen sind unter den Artikelnummern 50606 (Gleichstrom-Version, UVP € 399,99) und 50607 (Wechselstrom-Version, UVP € 409,99) erhältlich, wobei die Wechselstrom-Fahrzeuge wiederum mit einem mfx-fähigen Decoder ausgestattet sind.

Verpackung

Die Auslieferung erfolgt in der aktuellen Kartonverpackung mit leichten Modifikationen. Sie entspricht derselben Verpackungsform wie bei der E 18. Das Modell steht auf einem stabilen Plastikgleis (Grundplatte) und wird von seitlichen Führungspunkten und dem eigenen Arretierungsteil für den Schornstein in der Plastikummantelung festgehalten. Dazwischen sind verschiedene, dünne Folien gelegt. Der Zurüstbeutel ist in einer Verpackungsmulde des Plastikeinsatzes abgelegt. Die Betriebsanleitung, das Ersatzteilblatt und die übrigen Werbeschriften sind im eingeschobenen Kuvert abgelegt.

Technik

Die Antriebskomponenten sind im Langkessel des Modells verstaut. Die Abnahme der Gehäuseteile erfordert drei Schritte. Zuerst ist das Führerhausoberteil nach oben abzuziehen, wobei die nach hinten laufenden Griffstangen vom Tenderunterteil herauszuziehen sind. Im zweiten Schritt ist an der Unterseite auf der Höhe der Zylinderblöcke eine Zentralschraube zu lösen, dann ist der Langkessel abziehbar.

Der Mittelmotor ist unter der Abdeckung bzw. dem Motorhalter, zum Führerhaus hin ist die Fahrzeugplatine mit der PluX22-Schnittstelle ersichtlich, an welcher die Beleuchtungsplatine und der Kontaktgeber für den Dampfgenerator hängt. Der verbaute Mittelmotor verfügt über eine einseitige Schwungmasse und treibt die Lok über einen Wellenstummel über die mittlere Kuppelachse an. Die beiden anderen Kuppelachsen werden über das Gestänge mitgenommen. Alle Achsen sind starr gelagert, lediglich die Treibachse verfügt über ein Seitenspiel von mehreren Millimetern. Die dritte Kuppelachse ist beidseitig mit Haftreifen versehen. Die beiden Drehgestelle sind seitenverschiebbar und werden geführt, an den Fahrzeugfronten sind beidseitig NEM-Kurzkupplungsschächte in die Drehgestelle integriert.

Fahrverhalten

Das Eigengewicht beträgt 387 Gramm. Die Lok zeigt im Testbetrieb ein günstiges Fahrverhalten sowie entsprechende Zugkräfte. Die Höchstgeschwindigkeit beim Vorbild beträgt 100 km/h. Messungen bei 12 V Gleichstrom ergaben einen umgerechneten Wert von ca. 104 km/h. Die berechnete Modellgeschwindigkeit ist gegenüber der Vorbildgeschwindigkeit um ca. vier % zu schnell und nach dem NEM-Wert (+ 30 %) um ca. 26 % zu langsam.

Optik

Die Neukonstruktion ist ein Mix aus Kunststoff- und Metallteilen. Aus letztgenannten Material wurden die Wasserkästen und der Langkessel geformt, welche über feine Nietreihen verfügen und somit zum Eigengewicht des Modells beitragen. Das Führerhaus, der Tenderaufsatz sind aus Kunststoff gespritzt und sind ebenfalls mit feinen Gravuren versehen. Am Langkessel sind zahlreiche erhaben angesetzte Rohrleitungen eingesteckt, ebenso verschiedene Pumpen am Umlauf bzw. seitlich des Kessels. Gegenüber der DB-Version verfügt die DR-Lok über drei Dome. Der Umlauf weist eine fein geriffelte Oberfläche auf, die Griffstangen sind darin eingesteckt. Alle Lampen sind am Modell eingesteckt.

Das Fahrwerk besteht aus feinen Speichenrädern. Das Gestänge ist aus Metall gefertigt und wie auch die Steuerungsteile sehr zierlich wirkend. Die Fahrzeugleitern sind bereits werkseitig montiert und ebenfalls filigran ausgeführt. Die Sandfallrohre führen zu den Radlaufebenen, auf dessen Höhe sich auch die Bremssohlen befinden.

Farbgebung und Beschriftung

Die Farbaufteilung bzw. die Lackierung orientiert sich bei einer Dampflok an den Bauteilen, durch welche die Farbtrennkanten bestimmt sind. Die Bedruckung ist bei der vorliegenden 78 469 tadellos gelungen. Sämtliche Anschriften sind sauber ausgeführt. Die Lok ist beim Bw Meiningen bzw. bei der Rbd Erfurt stationiert, als letztes Untersuchungsdatum wird am Tender die Anschrift „Letzte Br. Unt. 19.11.62“ angeführt.

Beleuchtung

Die Beleuchtung erfolgt mit warmweiße LED, die richtungsabhängig leuchten. Bedauerlicherweise ist die Leuchtkraft für eine Dampflok und für die Zeit der 1960er Jahre einfach zu intensiv gewählt und somit vorbildwidrig. Das Schlußlicht ist leicht rötlich umgesetzt und von der Leuchtkraft her schon dem Vorbild entsprechender.


Bilder