Piko 50069: DR 94.20

Länger und schwerer werdende Züge und steigendes Verkehrsaufkommen ließen bei einigen deutschen Bahnverwaltungen nach der Jahrhundertwende Bedarf an schweren, fünffach gekuppelten Tenderlokomotiven aufkommen, weil die bisher eingesetzten drei- und vierfach gekuppelten Lokomotiven – meist mit Naßdampftriebwerk – an der Grenze ihres Leistungsvermögens angelangt waren. Die erste fünffach gekuppelte Tenderlokomotive entwickelte Preußen mit der T 16 (Baureihe 94.2-4) im Jahre 1905, der ein Jahr später die verbesserte T 16.1 (Reihe 94.5-17) folgte. 1907 stellte die Pfalz die T 5 (Baureihe 94.O) in Dienst, und 1908 begann die Lieferung der sächsischen XI HAT (Reihe 94.20-21).

 

Die Entwicklung fünffach gekuppelte Steifrahmenlokomotiven war möglich geworden, als man sich die Erfindung des Österreichers Karl Gölsdorf (1861 bis 1961) zu eigen machte und die Bogenläufigkeit mehrfach gekuppelter Lokomotiven durch seitenverschiebbare Kuppelradsätze erzielte. Die Sächsische Staatsbahn hatte 1906 mit der Beschaffung der Güterzug-Schlepptenderlokomotive der Gattung XI in drei Triebwerksvarianten begonnen und ausschließlich mit Heißdampftriebwerk, abgeleitet. Der Beschaffungszeitraum erstreckte sich bis 1923, und fast 40 % des Bestandes sind erst zur DRG-Zeit gebaut worden. Die Lokomotive war für den Schubdienst auf Gebirgsstrecken und für den schweren Verschubdienst auf den Rangierbahnhöfen Dresden-Friedrichstadt, Chemnitz-Hilbersdorf, Zwickau und Riesa bestimmt.

 

Charakteristisch für die XI HAT war der Belpaire-Stehkessel, den alte Lokomotiven der vorletzten Konstruktionsphase sächsischer Lokomotiven wie die Gattungen XI H und XIV Hat besaßen. Den letzten Konstruktionsabschnitt, dem die Gattungen XVIII H und XX HV angehören, kennzeichnet der Crampton-Kessel. Die drei Schüsse des Langkessels waren teleskopartig ineinandergeschoben, wobei der 1. Kesselschuß, der die Rauchkammerrohrwand aufnahm, sehr kurz war, um materialsparend gewechselt werden zu können. Der mit 12 bar betriebene Kessel besaß einen Rauchrohrüberhitzer Bauart Schmidt mit 41,37 m² Heizfläche und Heißdampfautomat, um die Überhitzung zu regulieren. Die Feuerbüchse, die bis zur Lok mit der Bahnnummer 2045 aus Kupfer bestand, war zwischen den Rahmenwangen eingezogen. Ab 1916 (Bahnnummer 2046) mußte die Feuerbüchse kriegsbedingt aus Flußeisen gefertigt werden. Zwischen die 28 mm dicken Wangen des Blechrahmens war bis zur Bahnnummer 2036 (Baujahr 1913) noch ein Wasserkasten eingehängt.

 

Man war zunächst dem Gölsdorfschen Vorbild gefolgt und hatte dem 1. und 5. Radsatz beidseits 26 mm Seitenspiel gegeben. Kuppelzapfen und Stangenlagerwaren entsprechend ausgebildet, um der Querbewegung folgen zu können. So ergab sich bei 5.600 mm Gesamtachsstand ein fester Achsstand von nur 2.800 mm. Weil die Lokomotiven auch im Streckendienst eingesetzt waren, erwies sich die geführte Länge für einen ruhigen Lauf als zu gering. So legte man 1919 den 5. Radsatz fest, gab dem 4. Radsatz Seitenspiel und rüstete viele Lokomotiven vorheriger Lieferserien entsprechend um.

 

Der Rahmen stützte sich in sechs Punkten auf dem Laufwerk ab. Der 3. Radsatz war nicht in das Lastausgleich-System einbezogen, die Federn der beiden vorderen und der beiden hinteren Radsätze waren jeweils durch Ausgleichhebel verbunden. Die beiden leicht geneigt angeordneten Zylinder trieben den 3. Radsatz an. Bis zur Bahnnummer 2076 (Baujahr 1921) besaßen die Maschinen eine Dampfbremse, die den 3. Radsatz beidseitig, den 2. von vorn und den 4. Radsatz von hinten bremste. Ab 1921 kamen die Lokomotiven ab Werk mit Druckluftbremse Bauart Westinghouse, möglicherweise besaßen auch die letzten Lieferungen des Baujahres 1919 schon eine solche. Jetzt wurden die Räder aller Radsätze einklötzig von vorn gebremst. Wegen des geringen Platzes zwischen den Radsätzen mußten die Bremsklötze unterhalb der Achsmitte angreifen. Lokomotiven im Steilstreckeneinsatz erhielten eine Riggenbach-Gegendruckbremse. 1923 bekamen die Lokomotiven Kolbenspeisepumpe und Oberflächenvorwärmer (längs auf der linken Seite des Langkessels zwischen Schornstein und Dom). Zuvor dienten zwei nichtsaugende Strahlpumpen der Bauarten Friedmann oder Winzer zur Kesselspeisung.

 

Die Mehrzahl der bis 1923 gelieferten Lokomotiven ist mit Speisepumpe und Vorwärmer nachgerüstet worden. Die Bauartänderungen bei der XI HT waren trotz des langen Beschaffungszeitraumes von 15 Jahren relativ gering. Abgesehen von den Anpassungen an der Entwicklungsstand der Technik (Druckluftbremse, Speisewasservorwärmung) hat sich das Erscheinungsbild kaum verändert. Ab Baujahr 1913 waren die Decken der seitlichen Wasserkästen vorn abgeschrägt und die Kästen bis zu den Zylindern verlängert. An Vorräten konnten 73 m³ Wasser (ab Bahnnummer 2046 dann 8,5 m³) und 2,2 t Kohle mitgeführt werden.

 

Weil 1910 noch nicht alle Strecken der Sächsischen Staatsbahn für 16 t Kuppelradsatzfahrmasse ausgebaut waren, aber regen Güterverkehr aufwiesen, beschaffte die Staatsbahn zehn Maschinen in etwas kleinerer und leichterer Ausführung mit 14,8 t Kuppelradsatzfahrmasse. Diese Lokomotiven hatten einen etwas kleineren Kessel (Rohrwandabstand nur 4.120 mm statt 4.500 mm), eine kleinere Feuerbüchse und mit 12.080 mm eine um 120 mm geringere LüP als die Standardausführung.

 

Die Maschinen mit den Bahnnummern 2019 bis 2028 sind 1925 von der DRG als 94 1901 bis 1908 eingenummert worden. Obwohl nur in geringem Umfang für den Kriegseinsatz zwischen 1914 und 1918 an der Ostfront herangezogen, gingen die Lokomotiven mit den Bahnnummern 2005, 2020 und 2036 verloren. Von der 2036 gibt es keinen Hinweis auf den Verbleib, die beiden anderen Maschinen übernahm die PKP als Tkw 101-1 und 101-2. Als Reparationsleistung gelangten 13 Maschinen nach Frankreich, zwölf an die ETAT, eine an die Nordbahn. Nach 1945 verblieben 16 Maschinen bei den CSD, die von der RBD Dresden im besetzten Sudetenland eingesetzt waren.

 

 

Die DRG übernahm 1925 acht Lokomotiven der „kleinen“ XI HT mit den Betriebsnummern 94 1901 bis 1908 und 139 Lokomotiven der Standardausführung mit den Betriebsnummern 94 2001 bis 2139. Die 94 2131 bis 2139 mußten nicht mehr umgezeichnet werden, denn Hartmann lieferte sie bereits mit Reichsbahn-Nummernschildern. Die Dienststellen mit dem größten Bestand an XI HT waren in den zwanziger Jahren die Bw Zwickau (19), Aue (16), Chemnitz-Hilbersdorf (13), Meuselwitz (10), Chemnitz Hbf (9), Altenburg (8), Plauen (7), Adorf (7) und Reichenbach (6). Darüber hinaus war die Gattung in geringeren Stückzahlen in Dresden-Friedrichstadt, Werdau, Engelsdorf, Zeitz und Riesa und einigen wenigen anderen Betriebswerken vertreten.

 

Lokomotiven, die Kesselersatz erhalten mußten, bekamen einen neuen Kessel mit Speisedom, der zwischen Schornstein und Dampfdom angeordnet war. Bekannt dafür ist die 94 2003. 1941 sind einige der an Frankreich abgegebenen Reparationslokomotiven als sogenannte Leihlokomotiven wieder nach Sachsen gekommen und dort mit ihrer französischen Bahnnummer im Einsatz gewesen. 1945 fanden sich neun dieser Lokomotiven bei den Bw Dresden-Friedrichstadt, Dresden-Altstadt, Chemnitz-Hilbersdorf, Glauchau und Riesa. Nur die Lokomotiven mit den ehemaligen Bahnnummern 2038 (ETAT 50.904) und 2061 (ETAT 50.911) sind wieder aufgearbeitet und als 94 2151 und 94 2152 eingenummert worden. Die anderen Maschinen hat man mit französischer Bahnnummer zwischen 1953 und 1960 ausgemustert.

 

Der Einsatz der Gattung XI HT blieb auch bei der DR auf Sachsen und angrenzende, heute zu Thüringen zählende Bw begrenzt. Abgesehen von den bei den CSD verbliebenen Lokomotiven und den wegen Kriegsschäden und weitgehender Abzehrung zwischen 1947 und 1953 ausgemusterten Lokomotiven (94 2032, 2056, 2064, 2072, 2078, 2084, 2097 und 2135) blieb der Bestand bis zur Mitte der 1960er Jahre weitgehend konstant. Erst als ausreichend Diesellokomotiven der Baureihen V 100 und V 180.2-4 verfügbar waren, begann die rasche Ausmusterung der XI HT. Auslauf-Bw war Aue, das die Lokomotiven bis 1975 vor allem auf der Steilstrecke Eibenstock u. Bf nach Eibenstock ob. Bf einsetzte, bis die Strecke wegen des Talsperrenbaus aufgegeben werden mußte. Die heute in Privatbesitz erhaltene 94 2105 war ab 1964 Werklok Nr. 1 im Raw Zwickau, wurde 1974 nach Einbau einer Riggenbach-Gegendruckbremse wieder beim Bw Aue in Dienst gestellt und war bis zum Ende des Steilstreckenbetriebes in Eibenstock im Einsatz.


Modellvorstellung

Piko hat die Baureihe 94.20 bzw. die sächsische XI HT erstmals im Jahr 2000 in Nürnberg als Neuheit präsentiert. Nachdem bereits in den letzten knapp 20 Jahren verschiedene Modelle erschienen sind, wurde eine weitere Modellvarianten in das Neuheitenprogramm 2019 aufgenommen. Das Modell wird für die Gleichstromversion unter der Artikelnummer 50069 und zum UVP von € 299,99 angeboten. Das Wechselstrommodell ist unter der Artikelnummer 50269 und zum UVP von € 319,99 verfügbar.

Verpackung

Piko liefert das Dampflokmodell in der alten Verpackungsform aus, und zwar in der zweifachen Kartonschachtel mit Styroporeinsatz und Styropordeckel. Die Betriebsanleitungen liegen darunter. In einer eigenen Ausnehmung ist der Zurüstbeutel eingelegt, welcher Haltegriffe, Loknummern, Luftschläuche und einen Schildersatz beinhaltet. Die Standardkupplungen liegen lose bei.

Technik

Im Lokgehäuse bzw. im Langkessel sind die Antriebskomponenten verstaut. Das Gehäuse ist auf den Lokrahmen gesetzt. Das Metallgehäuse ist über zwei an der Unterseite befindliche Schrauben am Chassis befestigt. Der Motor ist im vorderen Kesselteil untergebracht und verfügt über eine Schwungmasse. Die Kraftübertragung erfolgt über die an der Motorwelle direkt angesetzte Schnecke, die auf das Zahnradgetriebe der dritten und vierten Kuppelachse des Laufwerkes greift. Die anderen Achsen werden durch die Kuppelstangen mitgenommen. Die vierte Kuppelachse ist beidseitig mit Haftreifen versehen. Alle Achsen sind starr gelagert, weisen aber eine unterschiedlich ausgeprägte Seitenverschiebbarkeit auf.

Die Fahrzeugplatine ist am Fußboden des Führerstandes angeordnet. Diese enthält eine Digital-Schnittstelle nach NEM 652, also die 8polige Ausführung. Das Modell ist beidseitig mit einer Kurzkupplungskulisse versehen.

Fahrverhalten

Das Eigengewicht der Lok beträgt 306 Gramm. Die Höchstgeschwindigkeit beim Vorbild beträgt 60 km/h. Messungen bei 12 V Gleichstrom ergaben einen umgerechneten Wert von ca. 98 km/h. Die berechnete Modellgeschwindigkeit ist gegenüber der Vorbildgeschwindigkeit um ca. 64 % zu schnell und nach dem NEM-Wert (+ 30 %) um ca. 34 % zu schnell.

Optik

Piko hat bei der Realisierung des Modells auf die Werkstoffe Metall und Kunststoff zurück gegriffen. Das Lokgehäuse aus Führerhaus, Kohlekasten und Wasserkasten ist dabei aus Zinkdruckguß gefertigt. Der Kessel und der Kohlekastenaufbau bestehen wiederum aus Kunststoff, ergänzt um verschiedene, einzelne Anbauteile wie freistehende Leitungen, Pumpen und Griffstangen. Einzelne Teile am Kessel fein angraviert sind, wirken manche freistehenden Leitung als überdimensioniert und klobig. Weitere Detaillierungen finden sich am Kohlekasten wie die Ausnehmungen für die Trittstufen oder auch die nach innen versetzte Führerstandstüre. Die Trittflächen vor der Rauchkammertür sind geriffelt dargestellt. Auf diesen sind die DRG-Einheitslampen aufgesetzt.

Das Fahrwerk besteht ebenfalls vollständig aus Zinkdruckguß und ist um einzelne aus Kunststoff gefertigte Fahrzeugteile wie Pufferträger, Zylinderblöcke und Steuerungsträger ergänzt worden. Die Kuppelstangen sind aus Neusilberblech geätzt und wirkt äußerst filigran.

Farbgebung und Beschriftung

Die Lackierung einer Dampflok stellt bei einem Dampflokmodell das geringste Problem dar, denn die Farbtrennkanten resultieren aus den jeweiligen Bauteilen. Das Modell ist sauber bedruckt. Die Anschriften sind gut leserlich. Die als 94 2105 beschriftete Tenderlokomotiven gehört zum Bw Falkenstein der Rbd Dresden. Das Revisionsdatum stammt vom 08.01.63.

Beleuchtung

Das Modell ist mit einer LED-Beleuchtung ausgestattet, wobei jeweils zwei gelbliche Lampen in Fahrrichtung leuchten.


Bilder