Roco 70076 / 70083: ÖBB 77.23 / 77.28

Die damalige k.k. priv. Südbahn-Gesellschaft bestellte im Jahre 1912 eine Tenderlokomotive für den schweren Personenzugdienst als Ersatz für die zu schwach gewordenen Lokomotiven der Reihe 229. Die Lokomotivfabrik der Staats-Eisenbahn-Gesellschaft (StEG) entwickelte daraufhin die Heißdampf-Type der Reihe 629 als erste Tenderlokomotive der Welt mit der Pacific-Achsfolge 2′ C 1′. Im Zuge dieser Durchbildung waren aber andere Besonderheiten zu beachten. Durch die Besonderheiten der Streckenführung, und insbesondere der Schiebebühnen in den Werkstätten der Südbahn, durften die Lokomotiven keinen längeren Achsstand als zehn Meter aufweisen.

Die erste 629 wurde 1913 an die Südbahn-Gesellschaft geliefert, und 14 weitere in insgesamt 3 Lieferserien folgten in den nächsten darauffolgenden Jahren. Die außerordentlich guten Erfahrungen mit dieser Reihe veranlassten die Staatsbahnen (KkStB) zum Kauf von 25 nahezu gleichartigen Lokomotiven. Dieses Baulos wurde bis zum Kriegsende und Zusammenbruch der Monarchie ausgeliefert. Die nach außen hin deutlichen Unterschiede lagen im typischen Kobel-Rauchfang, den ovalen Stirnfenstern und einer gegenüber den ersten sechs Südbahn-Loks verstärkten Pufferbrust.

Weitere Serien der Reihe 629 wurden dann nach 1918 gebaut. Für die österreichischen und polnischen Staatsbahnen, und letztendlich 1926 und 1927 eine letzte Serie mit vergrößerten seitlichen Wasserkästen und ohne Kobel-Rauchfang für die BBÖ. Parallel dazu wurde diese Reihe in der Tschechoslowakei vor allem bei den Skoda-Werken in Pilsen bis Anfang der 1940er Jahre mit rund 200 Maschinen weiter gebaut, wobei die Konstruktion von Serie zu Serie stetig an den jeweiligen Stand der Technik angepasst wurde.

Die Lokomotiven der Reihe 629 wurden nach der Eingliederung in die Deutsche Reichsbahn zur Baureihe 77 umgezeichnet. Die Lokomotiven haben sich infolge der sehr langen Dienstzeit außerordentlich gut bewährt, was auch die auffallend geringe Anzahl an Umbauten dokumentiert. Bekannte Umbauten sind die Umbestellung vom Kobel- zum Prüßmann-Schlot und die in den 1950er Jahren eingebauten Giesl-Ejektor. Hinzu kamen noch Änderungen durch verschiedenen Aufbauten hinter dem Führerhaus zur Erhöhung des Kohlevorrates.

Die besondere Bedeutung läßt sich aber nicht nur an der für Österreich hohen Stückzahl an gebauten Maschinen ablesen, sondern ins besonders an der langen Lebensdauer. Praktisch jede Dienststelle in Österreich war irgendwann einmal mit Lokomotiven der Reihe 77 bestückt. Die West- und Südbahnstrecke und deren Nebenstrecken gehörten genauso zum Einsatzgebiet der Reihe 77. Selbst im westlichen Bundesland Vorarlberg war die Typ zur Abwicklung der Verkehre auf der nicht elektrifizierten Strecken Lindau – Bregenz – St. Margarethen zugegen. Die letzten Lokomotiven wurden erst 1975 mit dem Ende der Dampftraktion in Österreich außer Dienst gestellt.


Modellvorstellung

Obwohl es die Reihe 77 schon in ausreichender Stückzahl und Varianten von Klein Modellbahn vor Jahren gab, wagte der Salzburger Hersteller Roco den mutigen Schritt, diese österreichische Tenderlokomotive nochmals in zeitgemäßer Ausführung aufzulegen. Die Reihe 77 wurde als Neukonstruktion angekündigt. Als erstes Modell wurde die ÖBB 77.23 im Neuheitenkatalog 2022 angeführt, welche Roco als analoges Gleichstrommodell mit der Artikelnummer 70075 zum UVP von € 329,90, als digitales Zweileiter-Gleichstrommodell mit Loksound unter der Artikelnummer 70076 sowie als Dreileiter-Wechselstrommodell mit Loksound mit der Artikelnummer 78076 ankündigte. Die Modelle mit Loksound sind zum jeweiligen UVP von € 454,90 erhältlich.

Verpackung

Das Modell befindet sich in einer sehr robusten, zweiteiligen Kartonverpackung. Die ÖBB-Tenderlokomotive befindet sich in einer durchsichtigen Glasvitrine und steht auf einem Kunststoffgleis. An der Unterseite des Gleisstückes ist eine Schraubenverbindung angebracht, drüber wurde ein paßgenauer Blistereinsatz in die Glasvitrine eingelegt. In der Verpackung ist noch ein Zurüstbeutel beigelegt. Darin befinden sich das Lokpersonal, die Kurzkupplungen, die Kolbenschutzstangen (kurze und lange Ausführung) und div. Zurüstteile für die Pufferbrust, in der Regel Bremsschläuche und Zughaken. Die Betriebsanleitung, das Ersatzteilblatt und die Dekoderbeschreibung liegen in der Verpackung ebenfalls bei.

Technik

Die Antriebskomponenten sind im Langkessel des Modells untergebracht. Die Abnahme der Gehäuseteile wurde gegenüber der früheren KMB-Ausführung geändert. Die Zentralschraube befindet sich weiterhin unter dem Bauteil mit den beiden Sicherheitsventilen, allerdings müssen beim Roco-Modell keine Aufstiege von der Plattform herausgezogen werden. Nach der Abnahme des Gehäuses wird das aus Zinkdruckguß gefertigte Innenrahmen sichtbar. Dieses Bauteil ist über vier Schrauben am Fahrzeugrahmen befestigt. Im hinteren Bereich wird dies durch ein Plastikteil mit der Führerstandsbeleuchtung abgedeckt, welche heraus zu hebeln ist. Unter dem Innenrahmen ist ein fünfpoliger Motor mit großer Schwungmasse eingebaut, der über den hinten liegenden Wellenstummel sein Drehmoment über das anschließende Zahnradgetriebe auf den letzten Kuppelradsatz überträgt.

Dieser Radsatz ist mit einem Zahnrad versehen und weist auch zwei Haftreifen auf. Die Mitnahme der beiden anderen Kuppelradsätze erfolgt über das Gestänge. Alle Kuppelachsen sind mit einem unterschiedlichen Seitenspiel versehen. Die beiden vorderen Achsen weisen zusätzlich eine vertikale Federung auf, währenddessen die Antriebsachse dagegen starr im Fahrwerk eingesetzt ist. Das Vorlaufdrehgestell ist zweifach beweglich, einerseits als Drehgestell und andererseits seitenverschiebbar, während die Nachlaufachse über einen zentralen Drehpunkt verfügt. An beiden Lokenden ist eine NEM-Kurzkupplungskulisse eingebaut, wobei für beide Seiten unterschiedliche Lösungen gewählt wurden. Die Kulissenführung ist an der Fahrzeugfront im Fahrzeugrahmen integriert, rückseitig wurde diese in einem unterflurigen Anbaukasten verstaut.

Die Hauptplatine ist über dem Fahrzeugrahmen montiert und weist auf Höhe des Führerhauses eine PluX22-Digitalschnittstelle auf, allerdings existieren laut Ersatzteilblatt für die analoge bzw. digitale Modellversion unterschiedliche Platinen. Die analogen Modelle werden mit einem Brückenstecker ausgeliefert, die Soundmodelle wurden mit einem ZIMO-Baustein MS450P22 bestückt.

Fahrverhalten

Das Modell weist ein Eigengewicht von 284 Gramm auf. Die Höchstgeschwindigkeit beim Vorbild beträgt 90 km/h. Messungen bei 12 V Gleichstrom ergaben einen umgerechneten Wert von ca. 84 km/h. Die berechnete Modellgeschwindigkeit ist gegenüber der Vorbildgeschwindigkeit um ca. sechs % zu gering und nach dem NEM-Wert (+ 30 %) um ca. 36 % zu langsam.

Optik

Die Gehäuseteile der neuen Roco 77 sind allesamt aus Kunststoff gefertigt. Das Roco-Modell orientiert sich in der Ausführung an der kkStB-Bauform und verfügt somit über einen einfachen Dampfdom und die beiden Sicherheitsventile vor dem Führerhaus. Am Langkessel wurden diverse Details dargestellt und umfassen die Nieten, einzelne Luken und auch die zierlich angravierten Kesselringe. Natürlich sind in den Kessel einige Bauteile eingesetzt, speziell die bei der Rauchkammertüre platzierten Friedmann-Injektor und Pumpen. Gegenüber dem KMB-Modell hat Roco den Kessel modifiziert und dabei den Dampf- und Sanddom auf die Kesselform angespritzt, wobei im Zuge dieser Konstruktion auch der Dampfdom adaptiert wurde.

Die angesetzten Wasserkästen sind ebenfalls aus Kunststoff gefertigt und zeichnen sich durch äußerst fein realisierte Nietreihen aus. Auf dem Wasserkasten ist ein roter Handlauf aus Metall, deren Materialstärke max. 0,5 mm beträgt, wiewohl sämtliche Haltegriffe in roter Lackierung aus Metalldraht ausgeführt sind. Beim Wasserkasten ist Roco allerdings ein Lapsus passiert, indem die originären Staatsbahnlokomotiven nicht über die beidseits ausgeführte Klappe über dem zweiten und dritten Kuppelradsatz verfügen. Diese Klappe war nur bei den Südbahn-Maschinen vorhanden, im Zuge von Ausbesserungsarbeiten erhielt die ÖBB 77.13 nachträglich diese Bauform angesetzt.

Änderungen erfuhr auch das Führerhaus, deren Anpassungen sich auf die Belüftungsstutzen und die Griffe am Dach beziehen. Im Übergang von Führerhaus und Dach sind ebenfalls Nieten berücksichtigt. Der Kohlebunker entspricht dem KMB-Modell. Dafür wurde der Vorschuh der Lok an der Pufferbrust nicht korrekt nachgebildet. Da dieser Bereich als Trittfläche gilt, müßte die Oberfläche geriffelt ausgeführt sein, wie man dies von anderen Dampfloktypen bei den Umlaufblechen her kennt.

Beim Fahrwerk war lange Zeit unklar, ob Roco auch hier auf vorhandene Bauteile zurückgreift. Bei genauerer Betrachtung sind die Radsätze aus Metall mit feinen Speichen und Radnaben ausgeführt. Roco hat gegenüber der alten KMB-Konstruktion Räder mit korrekten Durchmessern realisiert. Das Gestänge und die Steuerung ist zierlich ausgeführt, die Stangennuten sind rot ausgelegt.

Farbgebung und Beschriftung

Die Farbaufteilung bzw. die Lackierung orientiert sich bei einer Dampflok an den Bauteilen, durch welche die Farbtrennkanten bestimmt sind. Die 77.23 ist daher schwarz lackiert, nur die Griffstangen und das Fahrwerk sind rot ausgeführt. Die Bedruckung ist tadellos gelungen. Sämtliche Anschriften sind sauber ausgeführt und lupenrein ablesbar. Die Novizin erhielt die Loknummer 77.23 und ist in der Zgfst. St. Valentin beheimatet. Dort war die Maschine vom 24. Juli 1962 bis 15. April 1969. Das letzte Untersuchungsdatum ist am Tenderaufbau auf Fußbodenhöhe aufgedruckt und benennt die letzte Bremsuntersuchung mit der Anschrift Br. Unt. Kd. 22.06.61. Wiener Neustadt war zu diesem Zeitpunkt die Heimatdienststelle.

Beleuchtung

Die Beleuchtung erfolgt mittels leicht gelblicher LED, die richtungsabhängig leuchten. Die Leuchtkraft ist angepaßt.


Bilder


Modellvorstellung Roco 70083 – ÖBB 77.28

Roco hat als zweites Modell der als Neukonstruktion ausgeführten Reihe 77 der ÖBB sich einer grün lackierten Dampflok angenommen. Die Zfl. Linz hatte zu Beginn der 1970er Jahre als Hochburg der Dampftraktion einige Vorbildlokomotiven einer optischen Auffrischung zugeführt, indem einige Loks dieser Reihe grün lackiert wurden. Neben der 77.25 und der 77.66 wurde auch als drittes Vorbild die 77.28 derartig gestaltet, indem die Wasserkästen, der Zylinderblock, das Führerhaus und der Kohlekasten grün lackiert wurden. Die Lok war dann als beliebter Hingucker in Erinnerung verblieben, erhalten geblieben ist das Original bei der ÖGEG, die die Lok heute noch betriebsbereit vorhält. Roco hat im Zuge der Neuheitenankündigung 2023 an dem Modell verschiedene Formänderungen berücksichtigt, indem erstmals eine Ausführung mit Giesl-Ejektor in den Fachhandel rollte. Des weiteren erhielt das Modell auf beiden Lokseiten das dritte Spitzenlicht montiert. Auf den ersten Blick erweckt das Modell den Eindruck, daß die grüne Farbgebung heller ist als im Neuheitenprospekt zu sehen ist. Die Radreifen sind weiß lackiert. Die 77.28 ist in der Zfl. Linz beheimatet. Was die Lackierung betrifft, so findet sich eine Anschrift zum Anstrich, welcher von der Arbeitsgem. Dampflokteam Linz Dezember 1972 erfolgte. Als letzte Br. Unt. ist der Hinweis Letzte Br. Unt. Lz 17.10.72 zu lesen. Roco hat drei verschiedene Modellausführungen angekündigt. Die vorliegende Ausführung trägt die Artikelnummer 70083 und ist eine Zweileiter-Gleichstrom-Ausführung ohne Loksound zum UVP von € 344,90. Die Modellausführung für das Zweileiter-Gleichstrom-System mit Loksound trägt die Artikelnummer 70084 und wird zum UVP von € 469,90 gehandelt. Zum selben UVP ist die Dreileiter-Wechselstrom-Ausführung unter der Artikelnummer 78084 erwerbbar.


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