[Update] „ÖBB nightjet der neuen Generation“ im Praxistest: Sein oder Schein?
Mit großem medialen Getöse haben die ÖBB Mitte November 2023 eine eher bedeutungslose Rundreise quer durch Österreich veranstaltet. Über das Ereignis wurde hier entsprechend berichtet.
Die ÖBB haben vor Abfahrt der Premierenfahrt verkündet, im Frühjahr 2024 das Zugpaar NJ 446/447 mit dem Laufweg Wien ARZ – Bregenz und retour auf die neue Garnitur umstellen zu wollen. Ob dabei der Transport der Autotransportwagen erhalten bleibt, wurde damals verschwiegen.
Die Umstellung auf die neuen Garnituren erfolgte in der Nacht vom 5. auf den 6. März 2024, indem auch der PV-Vorstand Klaus Garstenauer mitgefahren ist, um dann am Morgen des 6. März 2024 in Bregenz mit einem großen Schild gemeinsam mit dem Herrn Landesrat und dem hiesigen Regionalmanager sich fotografieren zu lassen. Einen offiziellen Presseakt gab es keinen, da derzeit aufgrund der vielseitigen Probleme im Konzern die Führungskräfte tunlichst auf Tauchstation gehen. Interessanterweise wurde jedoch der genaue Umstellungstermin offiziell nie verlautbart.
Die erste Fahrt nach Bregenz wurde dazu genützt, die erste Rückfahrt einer Probefahrt zu unterziehen, um verschiedene Eindrücke und Erlebnisse zu erhaschen. Da in den neuen Garnituren schon die Sitzgarnituren für den Railjet II eingebaut sind, war von Interesse, welcher Komfort dem Fahrgast erwartet?
Bevor der Komfort der neuen Züge überhaupt getestet werden konnte, durfte man verschiedene Baumängel am Bahnhof Bregenz erblicken. Als Highlight gilt vor allem die Regentonne am Übergang beim Abgang zum Bahnsteig 2/3!
Die Abfahrt des NJ 447 erfolgte vom Bahnsteig 4. Alle Bahnsteige sind zu dieser Zeit schlecht beleuchtet, das gilt auch für die Fahrplantafeln, über denen das „Info“-Schild prangt. Die ÖBB haben im Wagenstandsanzeiger beide Züge ausgewiesen, gaben allerdings keine Änderung der Verkehrstage an!
Die Garnitur 12 wurde um ca. 20:55 Uhr am Bahnsteig 4 im Bahnhof Bregenz aufgestellt. Als Triebfahrzeug war die 1116.270 eingeteilt, die auch dann vor dem Steuerwagen gespannt wurde, weil es noch keine Zulassung für den Steuerwagenbetrieb gibt.
Es wurde anschließend der Steuerwagen betreten und nach einem geeigneten Sitzplatz gesucht. Die Wahl fiel zunächst auf eine Sitzbank. Beim „Hineinkuscheln“ in die Sitzbank gewinnt man den Eindruck, daß man wie festgenagelt drinnen sitzt. Durch die Ausbauchung im Rückenbereich ist ein flächenbündiges Anlehnen unmöglich. Der Sitz ist hart und schlecht gepolstert, außerdem schmal. Wie schon beim Railjet 3. Klasse ist auch hierbei der Ellenbogen beim Nachbarn platziert. Der Mittelgang ist außerordentlich eng, sodaß es ständig zum Körperkontakt mit anderen Reisenden im Vorbeigehen kommt. Beim Inspizieren des neuen Sitzes und des Großraumwagens wurden dann die ersten Rückstände der vorigen Nachtzugfahrt vorgefunden. Die Reinigung des neuen Zuges läßt noch zu wünschen übrig! Bei meinem Sitz lag ein größeres Taschentuch unter der Fußstütze, unter der Nachbarsitzgruppe wurde sogar eine Bananenschale vorgefunden (siehe Fotos).
Es folgte dann ein Gang durch den Zug, und es wurden weitere unsaubere Stellen gefunden. Es ist schon peinlich, wenn weder bei den Tischen noch bei den Sitzgruppen entsprechende Abfallbehälter vorgesehen sind!
Beim Wechseln des Wagens erwies sich die Trenntüre als defekt. Um diese zu öffnen, war Muskelkraft erforderlich. Die Türe ist normalerweise mit einem Lichtschranken ausgestattet, war aber beidseitig gestört. Es erfolgte dann der Wechsel zu einem Vierertisch. Dort wurde der Sitz ausgezogen, der sich ca. acht Zentimeter ausziehen läßt. Allerdings besteht die Gefahr, daß Knie am Tischbein anzustoßen. Verschränkt man dann noch die Beine unter den Stuhl, dann stören die entsprechenden Sitzhebel.
Die Sitzwagen sind hell erleuchtet und werden es wohl die gesamte Fahrt über sein. Früher wurde gerade bei Nachtzugfahrten im Großraumwagen das Licht abgedunkelt. Dieser Service gehört wohl der Vergangenheit an. Wenn das Gebläse aufheult, entsteht eine Geräuschkulisse wie am Flughafen, wenn ein Düsenjet seine Turbinen voll durchstartet. Das Geräusch verflüchtigt sich nach einiger Zeit. Generell scheint das Lüftungskonzept mißlungen zu sein, denn schon nach kurzer Zeit wird es im Fußbereich kalt, und man beginnt zu frieren!
Der neue Zug verfügt über ein modernes Reservierungssystem, welches bei meiner Probefahrt nicht funktionierte. Es gab mehrere Reisende, die andere von ihren reservierten Sitzplätzen verscheuchen mußten! Über den Sitzen war zur zu lesen: „Ggf. reserviert“. Der Sitzwagen wies eine hohe Belegung auf. Obwohl die ÖBB bei der Abfahrt auf die herrschende Nachtruhe von 21:00 Uhr bis 08:00 Uhr hinweisen, stört das Gerede der anderen Passagiere im Sitzwagen ungemein. Eine Reisegruppe mit mehreren jungen Männern war sich einhellig einig, daß der neue Zug eine Fehlkonstruktion ist.
Bei meiner Fahrt waren sehr viele Reisende im Steuer- und Multifunktionswagen. Es gab gab sogar stehende Personen. Ein Ehepaar hatte sichtlich Probleme mit der Unterbringung des Gepäcks. Der neue Zug scheint hierbei nicht jedermanns Sache zu sein. Selbst Reisende mit Ski hatten so ihre Probleme. Die Ablage auf dem Hutfach über den Sitzbänken wird nicht gefahrenlos bzw. rutschsicher erfolgen.
Neben dem Sitzkomfort wollte ich vor allem erfahren, wie es um die Laufruhe des neuen Zuges bestellt ist. Der Steuerwagen lief zwar ruhig, aber die Geräuschkulisse vom Oberbau war schon beeindruckend. Es war jedes Befahren von Weichen zu hören, generell war die Schallübertragung lauter gegenüber konventionellen Schnellzugwagen bzw. zum ICE 4 (1. Klasse). Als ich dann in Rankweil zum dritten Wagen, einem Liegenwagen wechselte, waren merkliche Schwankbewegungen in beide Seiten des Wagens festzustellen, was vor allem in einem Liege- bzw. Schlafwagen nicht der Fall sein sollte.
Während die Wagenstandsanzeiger in Papierform falsch waren, wurden hingegen die elektronischen korrekt dargestellt. Der Zug war bis Feldkirch pünktlich unterwegs und erhielt am Zugschluß noch drei DDm angehängt. Obwohl die ÖBB-Pressestelle den neuen Zug noch mit einer Jubelmeldung bedachte, hat man es geschafft, das Serviceangebot „Auto am Reisezug“ tunlichst zu verschweigen! Abfahrt mit + 48 Minuten (am Folgetag sogar + 78 Minuten!). (Anmerkung: Selbst die seitens der ÖBB kolputierte Ankunft am 6. März ist gelogen, kam mit + 2 Minuten in Bregenz an.)
Der Ausstieg in Feldkirch wurde auch dazu genutzt, einen Blick auf den Belegungsgrad der Wagen zu werfen. Während die Sitzwagen zu ca. 75 % belegt waren, war der überwiegende Großteil der Miniacbs leer. Belegt waren stattdessen die Mehrbettenabteile. Beim Spazieren auf dem Bahnsteig merkte ich dann schmerzhafte Regionen im Bereich der Hüfte, die auf die neuen Sitze zurückzuführen waren. Jedenfalls war der Sitzkomfort in der Weiterfahrt mit dem ET 4748 wesentlich komfortabler und angenehmer. Wie eingangs schon erwähnt, wenn diese Sitze auch im neuen Railjet II Anwendung finden, möchte ich damit keine langen Zugfahrten erdulden müssen! (Anmerkung: Das erklärt auch das dümmliche Verhalten der ÖBB zu diesem Produkt! Je 100 Reisende (Klimaticket 1. Klasse) wurde eine Besichtigung in Innsbruck und Wien angeboten, währenddessen man die Medienvertreter außen vor läßt! Spannend!)
Ungeachtet einer gewollten Nachtzugfahrt im Liegewagen wurde rein aus Interesse am selben Tag versucht, ein derartiges Abteil zu buchen. Der Versuch scheiterte kläglich im Nirvana der ÖBB-Homepage.
Conclusio
Wenn man den vollmundigen Aussagen der ÖBB glauben geschenkt hätte, wäre der ÖBB Nightjet der neuen Generation ein absoluter Wunderzug der Neuzeit. Dem ist leider nicht so, denn das neue und 22 Mio. Euro teure Gefährt weist zahlreiche Defizite auf. Das erklärt auch die Vorgangsweise der ÖBB, im Rahmen der Premierenfahrt nur wohlgesonnene bzw. auserlesene Medienvertreter mitgenommen zu haben. Die gesamte Vorgangsweise erweckt den Eindruck von korrupten Verhalten. Jedenfalls haben es frühere Führungskräfte im Unternehmen besser verstanden, das neue Produkt entsprechend zu vermarkten. Was hier die ÖBB abziehen, ist nichts anderes, als die Medienwelt für dumm zu halten und für blöd zu verkaufen!
* * *
Als ich am Folgemorgen dem ÖBB-Vorstand schon meine entsprechende Meinung bekannt gab, war mir noch nicht der Testbericht von zwei Journalisten der Vorarlberger Nachrichten (Zeitung vom 7. März 2024, Seite A4) bekannt sowie die Eindrücke von zwei weiteren Mitreisenden. Der Bericht betont zwar die Vorzüge der neuen Garnituren anhand des konstruktiven Aufbaues, doch spannender waren die Eindrücke von anderen Reisenden, die hier auszugsweise wiedergegeben werden:
1) Die Fahrt der beiden Journalisten wurde seitens der ÖBB gesponsert und hatte einen Gegenwert von € 224,90 bei Einzelbelegung!
2) Die Fahrt wurde als witzig empfunden.
3) Einer der Reisenden meinte: „Ganz so gut geschlafen habe er nicht, räumt A. P. am nächsten Morgen ein. Aber war auf jeden Fall ein Erlebnis. Der Zug ist absolut laufruhig. Das war sehr angenehm.“ (Anmerkung: Der Beweis fehlt mir persönlich noch)
4) Ein unbekannter Mann sagte gegenüber der VN: „… möchte künftigen Passagieren vor allem einen Tipp ans Herz legen: Nicht die Koje direkt neben den Toiletten buchen. Ich habe jede Klospülung und jede Türöffnung gehört“.
Kurzum, ich frage mich, wie ist erst die Geräuschkulisse in den Nachbarkabinen, wenn jemand schnarcht udgl. Mehrere Berichte von der Einführung der neuen Garnituren zwischen Wien und Hamburg bzw. Innsbruck und Hamburg haben kein gutes Zeugnis an den ÖBB gelassen. Auch die deutsche Medienlandschaft hat sich insbesondere infolge des dynamischen Preissystems sehr negativ gegen die ÖBB eingeschossen.
Nachtrag 1
Die ÖBB wie auch das BMK als maßgeblicher Mitfinanzierer dieser neuen Züge haben dem Flugverkehr den Kampf angesagt. Wenn man solche mangelbehaftete Züge auf die Schienen stellt, kann man wie folgt zum Schluß kommen: „Nur fliegen ist schöner!“
EDIT 21.03.2024:
Da der Zug auch bald im Modell von Roco und LS Models kommt, bin ich schon dabei, mir die entsprechenden Unterlagen und auch die Vorbildfotos vom Einsatz vorzubereiten. Gestern wollte ich den Zug Hamburg – Innsbruck aufnehmen, mußte dann zur Kenntnis nehmen, daß dieser Zugteil ersatzlos ausfiel. Heute morgen durfte man erfahren, daß im Zuglauf NJ 446 (20.03. auf 21.03.) ebenfalls die neue Garnitur ausfiel und die vorige Stammgarnitur zum Einsatz kam. Ich stelle mir vor, wie lustig das ist, die entsprechenden Buchungen umzuändern.
Der NJ 491 Hamburg – Wien bzw. NJ 40491 Hamburg – Innsbruck ist auch in der Nacht vom
22./23.03.2024 ersatzlos ausgefallen!
EDIT 05.05.2024:
Ich hatte in den letzten Tagen dreimal die Gelegenheit, mit dem NJ 446 von Imst-Pitztal nach Vorarlberg zu fahren. Die Erfahrung in den Sitzwagen offenbarte nicht nur die Duftnoten verschiedener Käsesorten humanen Ursprungs, sondern auch die Tatsache, daß die Speibsackerln nun auch in diesen Zügen aufgelegt werden. Die neuen Sitzbänke eignen sich speziell für Kleinkinder und Kinder als Schlafmöglichkeit, selbst interessante Formen des Übernachtens sind aufgefallen. Die absolut beste Variante ist, man legt sich quer unter die beiden Gepäckracks im Eingangsbereich. Alle anderen Fahrgäste müssen über die schlafende Person am Boden darüber steigen. Der Belegungsgrad war überraschend hoch, je nach Liegeposition wird man genötigt, andere Personen unfreiwillig zu berühren. Positiv war die Beleuchtung in den Sitzwagen, sie war der Tageszeit angepaßt.
Bei einer dieser Fahrten ergab sich die Möglichkeit, eine der beiden Liegekojen aufzusuchen. Ich wählte die untere und habe mich hineingelegt. Es ist schon sehr eng drinnen, wobei ich meine Liegeposition von der Abfahrt bis zum Arlbergtunnel beließ, dananch bekam ich infolge des harten Bettes Probleme mit meinen Lendenwirbeln. Zuerst blieb der Vorhang ganz offen, dann geschlossen. Selbst in Wagenmitte ist das Piepsen der Wagentüren zu hören, ebenso die Nachbargeräusche.
Die Laufeigenschaften sind bei dieser Konstruktion nach wie vor das Manko. Auch im unteren Liegeabteil sind die Laufgeräusche zu hören, extrem ist es über die Arlbergrampe, hier hört man jeden Schienenstoß und auch das Überfahren der Weichen macht sich bemerkbar. Beim Befahren von Kurven spürt man die Fliehkraft. Für mich wäre interessant, wie die Schlafqualität ab Wien bzw. ab Bregenz ist. Während man ab Wien auf verschweißten HL-Gleisen fährt, dürfte das Einschlafpotential bis Landeck in der Gegenrichtung geringer ausfallen.
Ist das Abteil geschlossen, wird es relativ rasch kühl. Die Decke liegt also nicht ohne Grund im Abteil. Decke und Polster werden bei jeder Fahrt frisch überzogen, letzteres ist aber etwas klein dimensioniert. Bei meiner Größe lagen meine Füße am Kojenvorhang an. Das Schließen und Öffenen des aus Aluminiumlamellen befindlichen Vorhanges ist genauso zu hören, wie auch die Piepserei bei der Benützung der NFC-Karte. Der Handgriff des Vorhanges wackelte.
Ab Landeck wurde in meinem Wagen begonnen, die Leute zu wecken und das Frühstück zu überreichen. Obwohl das Klopfen eher leise war, es war dennoch zu hören. Das Personal war sichtlich bemüht, wenig zu sprechen. Da im Abteil auch Abfallbehälter fehlen, liegt in jeder Koje auch ein Speibsackerl auf. Das Display für die Beleuchtung hat beim Test nicht funktioniert.
Auf den letzten Kilometern meiner Reise kam es zum Gespräch mit einem Reisenden im Schlafwagenabteil, der das Problem des Unterbringens von großen Koffern beklagte. Er meinte nur, dieses Konzept gäbe es in Japan, womit sich wiederum der Kreis meiner Vermutung schließt. Wurde die Wagenflotte infolge der fehlenden Abfalleimer infolge ihrer Disziplin von Japanern designt?
Naja. Die Wortwahl könnte ein bisschen neutraler sein. Ich hatte den Zug im Oktober in Simmering sehen können und bin schon im Jänner nach Linz äh St. Pölten gefahren, weil der Zug am Hbf 70 min brauchte, um abfahren zu können (die üblichen Elektronikprobleme mit den angehängten Wagen).
Also Beleuchtung wurde gedimmt, Laufruhe, Schallisolierung und Druckertüchtigung sind so gut wie bei den ersten RJ, also gut. Sitze sind nicht besser als die vom RJ, die man etwas ausziehen kann, also ziemlich schlecht, keine Verbesserung jedenfalls. ICE 4 ist da besser gelungen, die vom ICE T sind wesentlich komfortabler.
Für den Nachtverkehr sind die Sitze jedenfalls vollkommen ungeeignet und viel zu wenig. Die Ruhesessel des eingestellten City Nightline oder die Sleeperette in Italien der 1980er Jahren waren wesentlich komfortabler und geeigneter für einen effizienten Nachtreiseverkehr.
Meine Kritikpunkte aber: der Zug ist zu schwer, innen zu schmal, weil die Elektrik noch einmal Platz gebraucht hat, die Ausstattung mit den vielen Toiletten und zT Duschen macht den Betrieb einfach zu teuer. Kein Modell für einen massentransportfähigen Nachtreisezug für eine Verkehrswende-