Piko 50136: DR 95 Öl
Eine 1′ E 1′-Tenderlok ist von den Preußisch-Hessischen Staatsbahnen nie geplant gewesen. Erst die Pionierleistung der Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn (HABE), die 1920 mit der Indienststellung einer 1′ E 1′ h2-Tenderlok den Beweis erbrachte, daß auch Steigungen von 60 Promille noch im Reibungsbetrieb bewältigt werden können, weckte das Interesse des Eisenbahn-Zentralamtes.
Die HBE hatte sich schon beim Bau von Gebirgsbahnen in Deutschland Verdienste erworben, als man die Bahn von Blankenburg nach Tanne im Harz in Angriff nahm. HABE-Direktor Albert Schneider hatte es strikt abgelehnt, schmalspurig zu bauen, weil in seiner Gesellschaft nur die Verwendung einer Spurweite wirtschaftlichen Betrieb versprach. In Zusammenarbeit mit Roman Abt aus der Schweiz wurde auf den Steilstrecken die dreilamellige Zahnstange des Systems Abt verwendet.
Die HBE hatte natürlich nicht auf gut Glück die 1‘ E 1‘-Tenderlokomotive bauen lassen, sondern ihr Direktor Steinhoff hatte zuvor mit einer 1’ C 1’-Tenderlokomotive und einer E-Schlepptenderlokomotive auf der Zahnradstrecke Blankenburg – Tanne die Grenzen des Adhäsionsbetriebes ausgelotet. War die HABE einst Vorreiter bei der Einführung des kombinierten Reibungs- und Zahnradbetriebes, so war sie es jetzt wieder bei seiner Abschaffung. Ökonomische zwänge verlangten eine kostengünstigere Betriebsführung. Die in der Kriegs- und Nachkriegszeit eingetretene Verteuerung von Kohle, Stahl und Personalkosten machten bei ständig steigenden Frachtaufkommen eine Ablösung des personal- und kostenintensiven Zahnradbetriebes dringend erforderlich. Diese Faktoren trafen mehr oder minder auch für die Zahnradstrecken der Preußisch-Hessischen Staatsbahnen zu.
So entstand in enger Zusammenarbeit zwischen HBE (Steinhoff) und Borsig (August Meister) die erste 1′ E 1′-Tenderlokomotive der später als Tierklasse (nach den Namen WISENT, ELCH, BÜFFEL und MAMMUT) bezeichneten Reihe. Das Kunststück bestand darin, bei nur 1.100 mm Kuppelraddurchmesser Zylinder mit einem Durchmesser von 700 mm unterzubringen, um die erforderlichen Zugkräfte und auch entsprechend hohe Bremsleistung mit der Riggenbach-Gegendruckbremse erzielen zu können.
Zur Beruhigung der Bahnaufsicht hatte die erste Lokomotive noch ein Gestell mit Bremszahnrädern erhalten, das aber nie benutzt worden Ist. Wichtiger als dieses war ein gut funktionierender Sandstreuer. Der von Borsig entwickelte Druckluftsandstreuer (später als Bauart Borsig-Reichsbahn auf allen Einheitslokomotiven zu finden) hatte beidseits zehn Fallrohre, mit denen die Räder aller gekuppelten Radsätze von vorn und hinten gesandet werden konnten.
Versuche mit der HBE-Lokomotive
Das Reichsverkehrsministerium schickte Oberregierungsbaurat Strahl vom EZA und Regierungsbaurat Wagner vom Versuchsamt Grunewald in den Harz; sie brachten den Meßwagen und zu Vergleichszwecken eine T 16-Lokomotive mit. Die HBE-Lokomotive konnte jedoch nur mit 230 t belastet werden, weil die Zugkraftmeßeinrichtung am Meßwagen keine höhere Belastung vertrug. Das Leistungsprogramm der 1’ E 1’ sah die Beförderung von 200 t in der Steigung von 60 Promille mit 12 km/h vor; ohne Meßwagen schaffte sie sogar 260 t. Der T 16 konnten, trotz höherer Reibungsmasse, wegen Ihrer kleineren Zylinder und der nicht zuverlässig funktionierenden Sandstreueinrichtung nur 140 t angehängt werden. Die HBE stellte dem EZA die Lok auch für Versuchsfahrten auf preußischen Zahnradstrecken zur Verfügung.
Entscheidung für Borsig
Das Reichsverkehrsministerium entschied sich nach den überzeugenden Leistungen der HBE-Lokomotive auch, den Zahnradbetrieb auf den preußischen Strecken durch Reibungsbetrieb mit ähnlichen Lokomotiven zu ersetzen, die jedoch überdies als Schiebelokomotiven für Steilrampen und als Zuglok auf Steilstrecken verwendet werden sollten. Es lagen ein Angebot von Orenstein & Koppel für eine F-Tenderlokomotive (nach anderen Quellen 1’ F 1’) mit Luttermöller-Antrieb der Endradsätze und eines der Firma August Borsig für eine 1’E 1’ h2-Tenderlokomotive vor, die die Hauptabmessungen der HBE-Lokomotive noch erheblich überbot. Das Ministerium entschied sich für den Borsig-Entwurf und erhielt 1922 die ersten zehn Lokomotiven, die dem Gattungsbezirk Magdeburg zugeordnet und als MAGDEBURG 9201 bis 9210 bestellt waren. In dieser für die Eisenbahn sehr schnelllebigen Zeit sind sie jedoch mit Reichsbahnadler und den Betriebsnummern 77 001 bis 77 010 entsprechend dem 1. Vorläufigen Umzeichnungsplan ausgeliefert werden.
Die T 20 – letzter Stand preußischer Lokomotivbaukunst
Die als Gattung T 20 bezeichnete Baureihe gehört zum Besten, was die Preußisch-Hessischen Staatsbahnen, die es zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon gar nicht mehr gab, In Dienst gestellt haben. Sie hatte einen 100 mm dicken Barrenrahmen. Der erste und der letzte Kuppelradsatz war mit dem vorderen bzw. hinteren Laufradsatz zu einem Krauss-Helmholtz-Lenkgestell vereinigt. Der Rahmen war in vier Punkten gegen das Laufwerk abgestützt. Die Federn des vorderen Laufradsatzes und der Kuppelradsätze 1 bis 3 sowie die der Kuppelradsätze 4 und 5 und des hinteren Laufradsatzes waren durch Längsausgleichhebel verbunden.
Ein Novum im Lokomotivbau war der Kessel. Der Langkessel bestand nur aus einem Schuß, der aus zwei Halbschalen zusammengenietet war. Hier war mit der Regel gebrochen worden, daß die Längsnähte nicht unterhalb des Wasserspiegels liegen sollten. Der Hinterkessel war nach der Bauart Belpaire wie auch bei P 10 und G 12 ausgeführt. Unter Berücksichtigung des geplanten Einsatzes auf Steilstrecken war die Feuerbüchsdecke 1:17 geneigt. Zwei besonders lange Wasserstände hatten Markierungen für Steigung, Ebene und Gefälle. Die Kesselmitte lag mit 3.100 mm so hoch wie noch nie bei einer deutschen Lokomotive. Auch mit einer Kuppelradsatzfahrmasse von 19,1 Tonnen „eilte sie ihrer Zeit etwas voraus” (Erich Metzeltin). Die anfänglich eingesetzten Kolbenschieber mit nur 220 mm Durchmesser (bei 700 mm Zylinderdurchmesser!) hat man wegen zu hoher Drosselverluste und des Leerlaufwiderstandes bald auf 300 mm Durchmesser vergrößert.
Anfangs hatte der Sandkasten beidseits nur vier Fallrohre, aus denen die Räder des Treibradsatzes beidseitig, die des 2. Kuppelradsatzes von vorn und die des 3. Von hinten gesandet wurden. Auch hier ging man bald zur beidseitigen Sandung aller gekuppelten Räder und damit zu zehn Fallrohren auf jeder Seite über.
Außer der Druckluftbremse Bauart Knorr, die die Kuppelradsätze 1 bis 4 einseitig von vorn abbremste, besaßen alle Lokomotiven ab Werk Riggenbach-Gegendruckbremse. Den großen Luftbedarf deckten anfangs zwei zweistufige Luftpumpen rechts neben der Rauchkammer, später eine Doppelverbundluftpumpe. Bei der 77 001, der späteren 95 001, war der Abdampfvorwärmer Bauart Knorr noch quer vor dem Schornstein In die Rauchkammer eingelassen. Bel allen weiteren Lieferungen befand er sich quer auf dem Rahmen zwischen 2. und 3. Kuppelradsatz
Kein Ersatz für Zahnradlokomotiven
Die T 20 ist zwar auf den Zahnradstrecken Stützerbach – Rennsteig, Suhl – Friedberg, Honau – Lichtenstein und Friedrichsthal – Freudenstadt erprobt, aber nie eingesetzt worden. Das verhinderte ihre hohe Kuppelradsatzfahrmasse von 19 t auf den nur für 12 bis 15 t zugelassenen Strecken. Weil ein Ausbau der Strecken für eine höherer Radsatzfahrmasse nicht vertretbar war, verblieb man zunächst beim gemischten Zahnrad- und Reibungsbetrieb und ersetzte ihn teilweise durch Adhäsionsbetrieb mit der T 16 bzw. T 16.1. Die T 16 war zwar ohne geneigte Feuerbüchsdecke nicht so gut für den Steilstreckenbetrieb geeignet wie die T 20, aber mit Riggenbach-Gegendruckbremse durchaus in der Lage, die im Vergleich zur HBE-Strecke geringeren Zugmassen problemlos zu bewältigen. Das hat sie z. B. in Thüringen bis zum Anfang der 1970er Jahre auch getan. Die T 20 kam auf den Steilstrecken als Zug- und Schiebelokomtoive zum Einsatz, so auf den Rampen Arnstadt – Grimmenthal, Tharandt – Klingenberg-Colmnitz und Lichtenfels – Probstzella. Ihre ersten Heimatdienststellen waren die BWs Arnstadt, Probstzella, Dresden-Friedrichsstadt und Geislingen.
Die T 20, von der bis 1924 insgesamt 45 Lokomotiven gebaut worden sind (18 von Borsig und 27 von Hanomag), zog in der Ebene 1.500 Tonnen mit 65 km/h bzw. 2.600 Tonnen mit 50 km/h. Auf 10 Promille-Rampen waren es 400 Tonnen mit 65 km/h bzw. 830 Tonnen mit 35 km/h. Auf 25 Promille-Rampen wurden 320 Tonnen mit 35 km/h bzw. 520 Tonnen mit 20 km/h bewältigt. Allein mit der Gegendruckbremse konnte ein Zug von 200 Tonnen Masse auf der Steigung 1:15 (66,6 Promille Neigung) mit 10 km/h sicher ins Tal gefahren werden.
Modellvorstellung
Piko hat im Rahmen seiner Neuheitenvorstellung für 2017 die Produktlinien neu geordnet und aus dem bisherigen Classic-Programm Classic nostalgie geboren und gleichzeitig eine Neugestaltung hinsichtlich der Verkaufspreise angekündigt. Im Rahmen dieser Neuheitengestaltung tauchte eine Neuauflage der Baureihe 95 der Deutschen Reichsbahn mit Ölhauptfeuerung auf. Piko hat die Gleichstrom-Version unter der Artikelnummer 50136 zum UVP von € 219,99 angekündigt, die Wechselstromlok kostet € 239,99 und ist unter der Artikelnummer 50436 erhältlich.
Verpackung
Der Sonneberger Hersteller setzt bei seinen Classic (nostalgie) Modellen weiterhin auf die alte Verpackungsvariante mit zweifacher Kartonschachtel und Styroporeinsatz. Das Modell liegt in einer paßgenauen Ausnehmung im Styroporeinsatz. Mitgeliefert wird ein Zurüstbeutel mit verschiedenen Zurüstteilen zur Selbstmontage sowie eine Betriebsanleitung, in welcher die Schritte für das Zurüsten der Teile beschrieben ist.
Technik
Der Motor der Lokomotive ist in der Höhe des Führerhauses verbaut. Um an diesen heranzukommen, muß zuerst die Deichsel des Nachlaufradsatzes entfernt werden. Danach läßt sich die Befestigungsschraube entfernen und das Lokgehäuse leicht nach oben heben und seitlich sowie nach schräg oben abziehen. Der Motor verfügt rückseitig über eine Schwungmasse, an der Vorderseite ist die Antriebswelle. Die Kraftübertragung erfolgt mittels Zahnradgetriebe auf auf die Kuppelachsen sowie weiterführend über die Kuppelstangen auf alle Achsen. Die dritte und vierte Kuppelachse sind mit Haftreifen bestückt. Die erste bis vierte Kuppelachse weisen ein Seitenspiel auf.
Die Fahrzeugplatine ist über dem Motor platziert und weist eine Digitalschnittstelle nach NEM 652 auf. Beim Modell sind zwar Kurzkupplungsschächte nach NEM verbaut, allerdings ist keine Kulisse vorgesehen. Jeweils eine Zentralschraube als fixer Drehpunkt sorgt für die Drehbewegung zwischen Kurzkupplungsschacht sowie dahinter oder davor liegenden Laufwerk.
Fahrverhalten
Das Modell weist ein Eigengewicht von 291 Gramm auf. Das Vorbild hat eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h. Messungen bei 12 V Gleichstrom ergaben einen umgerechneten Wert von ca. 110 km/h. Die berechnete Modellgeschwindigkeit ist gegenüber der Vorbildgeschwindigkeit um ca. 61 % zu schnell, gegenüber dem NEM-Wert – unter Berücksichtigung der Erhöhung um 30 % – ist sie wiederum um ca. 38 % zu hoch. Der Auslauf beträgt ca. vier Loklängen.
Optik
Das Modell der Baureihe 95 ist aufwendig gestaltet und ist schon in seinem Urzustand nach der Entnahme der Verpackung reichhaltig detailliert. Piko hat bei seiner Neukonstruktion die Proportionen gut getroffen und ein stimmiges Modell geschaffen. Obwohl am Kessel neben den angespritzten Leitungen auch einige freistehend angebracht sind, erfährt das Modell durch das Zurüsten der Teile im Zurüstbeutel eine weitere, optische Aufwertung und macht das Modell noch filigraner.
Farbgebung und Beschriftung
Die farbliche Gestaltung der Lok ist konstruktiv bedingt unproblematisch hinsichtlich der Lackierung. Die Beschriftung ist stattdessen aufgedruckt und mehrfarbig ausgeführt. Sämtliche Anschriften sind lupenrein ausgeführt. Piko gab seiner aktuellen Modellausführung die Betriebsnummer 95 044. Die Lok ist beim Rbd Erfurt bzw. Bw Probstzella stationiert. Das Revisionsdatum stammt vom 26.07.67.
Beleuchtung
Das Modell wird noch mit Glühlampen beleuchtet. Es leuchtet nur eine gelblich wirkende Lampe am oberen Spitzenlicht auf. Es ist kein Schlußlicht vorhanden.
Bilder