Hitradio Ö3 sitzt ÖBB-Schwindel auf
Der Radiosender Hitradio Ö3 hat am 13. Juni 2023 zum 21. Mal den Ö3-Verkehrsaward vergeben. In der Kategorie „Idee des Jahres“ wurde der Preis an die ÖBB Infrastruktur – Abteilung Energie verliehen. Begründet wird der Preis damit, daß die Windkraftanlage in Höflein seit wenigen Monaten das weltweit erste Bahnstrom-Windkraftwerk sei, daß 1.400 Züge auf einer Strecke mit der Entfernung Wien – Salzburg fahren können. In der Begründung ist auch zu lesen, daß die Einspeisung direkt und ohne große Distanzen erfolge. Der genaue Text zur Begründung steht in der OTS 0097 vom 13. Juni 2023.
Die ÖBB haben im Vorfeld schon eine Presseaussendung zu dieser Anlage versandt, die nur an einen erlesenen Kreis an Journalisten gerichtet war. Dies hatte zur Folge, daß die hauptberuflich beschäftigen Kollegen der Zeitschrift Lok-Magazin diese Pressemeldung ungeprüft abgedruckt haben und es folglich im Heft 5/2023 zum Abdruck eines Leserbriefes aus Belgien kam. Der Leserbrief von Torsten Hopp aus Eupen (Belgien) war wie folgt:
„Zum Aktuell-Teil im Heft 2/2023 zum Thema Österreich:
Im Beitrag steht, dass die ÖBB als Erste Strom für die Bahn mit Windenergie erzeugen. Dies ist falsch, denn in Belgien wird seit mehreren Jahren schon Windenergie durch die SNCB/NMBS genutzt. Damit werden die Strecken HSL-2 (Leuven – Ans), L-36 (Brüssel – Leuven – Liège) im Abschnitt Leuven – Landen – Ans – Liège und die L-21 (Landen – Hasselt) betrieben bzw. bei Überschuss der Strom ins Landesnetz gespeist.
Darüber hinaus ist auch schon seit den ersten 2000er-Jahren auf der HSL-4 (Antwerpen – Niederlande) auf einem längeren Arkadentunnel eine Photovoltaik-Anlage in Betrieb, um die mit 25 kV und 50 Hz betriebene Neubaustrecke mit Strom zu versorgen. … (Schlußsatz betrifft die Zeitschrift selbst. Anmerkung MI)“.
Der ORF wurde am 14. Juni 2023 und nochmals am 17. Juni 2023 mit dem Beleg des Leserbriefes von dieser Tatsache schriftlich in Kenntnis gesetzt, was die ÖBB bewog, natürlich sofort zu reagieren. Am 20. Juni 2023 kam die Antwort von der Ö3-Öffentlichkeitsarbeit mit einer Stellungnahme von Ö3 und den ÖBB:
Beim Ö3-Verkehrsaward werden die Held/innen der Straße ausgezeichnet, die einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Wer ausgezeichnet wird, ist eine rein redaktionelle Entscheidung. Somit ist der Preis korrekt vergeben worden und wir sind auch stolz mit der Auszeichnung vielen Einsatzhelfer/innen eine Bühne geben zu können und den Einsatz für die Verkehrssicherheit würdig auszeichnen zu können.
Unabhängig davon, haben wir auch mit der ÖBB-Holding AG Rücksprache gehalten und auch die Antwort auf Ihren konkreten Hinweis bekommen. Diese darf ich Ihnen im Anschluss übermitteln.
„Im Artikel aus dem Jahr 2015 [Anmerkung MI: Die ÖBB können nicht einmal die Jahreszahl des Leserbriefes richtig lesen!] geht hervor, dass die SNCB Windanlagen im öffentlichen Netz hat und jener Überschuss der nicht in der Bahnstromversorgung verbraucht wird (iHv. rd. 1/3) in das öffentliche Netz eingespeist wird. Die SNCB betreibt ihr Oberleitungsnetz hauptsächlich mit 3 000 V Gleichstrom – bzw. 25 000 V / 50 Hz an Neubau Schnellfahrtrassen. Insbesondere dazu können Standard Windräder aus der öffentlichen 50 Hz-Welt verwendet werden. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass die in den Windkraftanlagen produzierte Energie in irgendeiner Form umgewandelt werden muss, um der einphasigen Oberleitung zugeführt werden zu können. Unsere Windkraftanlage hingegen besitzt einen integrierten 16,7 Hz-Vollumrichter mittels dessen die Energie direkt – und somit ohne weitere Umformungsverluste – der Oberleitung zugeführt wird. Die Entwicklung das Vollumrichters wurde von Fa. Vensys im Jahr 2021 abgeschlossen und die Errichtung der Prototyp-Windkraftanlage begonnen. Vensys ist auch der bisher einzige Anbieter für Windkraftanlagen im 16,7 Hz-Bereich. Folge dessen ist unsere Windkraftanlage in Höflein tatsächlich die weltweit erste Anlage die in das 16,7 Hz-Bahnstromnetz einspeist. Dieses Stromsystem wird von den Bahnen im DACH-Raum sowie Norwegen und Schweden verwendet.“
Mit diesen Angaben wurden sodann die Ausführungen der ÖBB verifiziert. Die Recherche hat ergeben, daß es zwei Unternehmen mit dem Namen Vensys gibt, die zusammen gehören. Meine Feststellungen wurden dann der antwortenden Stelle am 26. Juni 2023 mitgeteilt:
„Danke für die nachträglichen Ausführungen, die Sie von den ÖBB erhalten haben. Der Schriftwechsel zeigt wieder einmal, wie ungleich die ÖBB Medienvertreter behandeln.
Dennoch ist folgendes festzuhalten, daß ich vorab schon weiß, in welchem Land welche Stromsysteme verwendet werden und mit der geschichtlichen Entstehung bestens betraut bin, zumal diese in einer meiner Publikationen nachzulesen ist.
Windkraftanlagen besitzen in der Regel eine 50 Hz-Anlage. Die Verwendung von 50 Hz-Anlagen begründet sich darin, daß diese gängiger, günstiger, wesentlich leichter und kleiner sind als 16 2/3 Hz-Anlagen, wiewohl man durch Umformung aus 50 Hz die besagten 16 2/3 Hz transformieren kann. Der Vorteil in Belgien ist, daß man durch das Stromsystem von 25 kV/ 50 Hz Wechselstrom sowohl direkt als auch ins Ortsnetz einspeisen kann sowie unabhängig unter Verwendung des Ortsnetzes überall Windkraft erzeugen und beziehen kann, währenddessen die ÖBB infolge des 16 2/3 Hz-Vollumrichters nur ins eigene Netz einspeisen können.
Die ÖBB benennen für die gewählten Bauteile keine Produktdaten, sodaß nicht nachprüfbar ist, wie der Systemaufbau ist? Wenn ich mir aber die angebotenen Fabrikate der besagten Firma ansehe, handelt es sich beim Umrichter der Windkraftanlage immer um einen 50 bzw. 60 Hz-Anlage, selbst bei den Produkten scheint ein derartiges Fabrikat explizit für die Bahnstromerzeugung nicht auf, geschweige denn wird die ÖBB-Windkraftanlage als Firmenreferenz gelistet.
Ich lese aus diesen Daten heraus, daß der durch Windkraft generierte Strom zunächst mit 50 Hz entsteht und dann durch einen Vollumrichter in den gebräuchlichen Bahnstrom umgewandelt wird. Unklar ist auch, welche Leistung dabei generiert wird? Jedenfalls lassen die ungenauen ÖBB-Angaben keine klaren Aussagen zu, und falls doch, dann trifft die Aussage nur für das Bahnstromnetz mit 15 kV/16 2/3 Hz zu. Es ändert aber trotzdem nichts an der Tatsache, daß die Belgier ein derartiges Ansinnen für seinen Bahnstromnetz schon zuvor installiert haben.
Abschließend werfen die ÖBB-Ausführungen weitere Fragen nach technischen Belangen auf. Diese betreffen die technische Gestaltung der Anlage, die Leistung der Anlage, die Anzahl solcher Anlagen, die Offenlegung der Prinzipschaltung sowie die erforderlichen Zusatzmaßnahmen für die Einspeisung (direkte Einspeisung ins 15 kV-System?). Last but not least ist festzuhalten, daß über diese Anlage in einschlägigen Publikationen (z. B. Elektrische Bahnen) noch nichts zu lesen war. Ein Lokalaugenschein wäre daher ein probates Mittel, die entsprechenden technischen Anlagen im Rahmen eines Hintergrundgespräches zu präsentieren, wenn man es schon nicht schafft, die Medienvertreter hierzu einzuladen (bei mir seit Ende April 2018!).“
Die ÖBB haben es in weiterer Folge vorgezogen, nicht auf die Detailfragen sachlich einzugehen, und Erwecken somit den Anschein, was zugleich für ein Staatsunternehmen befremdlich ist, mit schönen Worten der Öffentlichkeit Fakten vorzugaukeln, die sich dann in der Realität nicht bewahrheiten. Viel schlimmer ist noch, daß sie selbst auf Nachfrage, nicht einmal den Wahrheitsbeweis antreten wollen oder gar können!
Eine Nachfrage beim Lieferanten ergab, daß die Fa. Vensys die technischen Komponenten an die ÖBB geliefert haben, wollte aber die Leistungsdaten erst nach Bekanntgabe preisgeben, wenn Ihnen bekannt ist, für welches Magazin und in welchem Format dieser Artikel erscheinen wird.
Sei, wie es sei. Faktum ist, wenn man schon in der Öffentlichkeit mit solchen Innovationen protzen will, muß man auch gewillt sein, die entsprechenden Fakten auf den Tisch zu legen. Die ÖBB sind nicht in der Lage, fachliche Auskünfte zu Ihrer Anlage zu übermitteln. Man darf sich fragen, warum wohl?
Auch der Ö3 muß sich die Frage gefallen lassen, nach welchen journalistischen Kriterien der Verifizierung der üblichen ÖBB-Propaganda stattgefunden hat? Bei besserer Recherche sowie Check und Gegen-Check wäre Ihnen dieser Lapsus nicht passiert!