Roco 73883: SNCF BB 22200

Das Eisenbahnnetz von Frankreich ist historisch gewachsen und entwickelte sich aus mehreren Bahngesellschaften. Historisch gewachsen ist auch die Elektrifizierung der Bahnstrecken, wiewohl bei der Streckenausrüstung und der Wahl des Stromsystems vielfach militärische Überlegungen eine Rolle spielten.

Die SNCF hat seit Beginn der 1960er Jahre damit begonnen, sich mit der Entwicklung von Mehrsystemlokomotiven auseinanderzusetzen. Das französische Eisenbahnnetz umfaßte damals ca. 36.000 Streckenkilometer und war anno dazumal nur zu einem Viertel bereits elektrifiziert. Die Entwicklung führte dazu, daß die SNCF unter zwei verschiedenen Stromsystemen mit 1500 Volt Gleichstrom und das jüngere Wechselstromsystem mit 25 kV/50 Hz betrieben werden. So sind Zweisystemlokomotiven – man nennt diese in Frankreich „Bicourant“ – wünschenswert, damit der Lokomotivwechsel an Systemtrennstellen entfallen kann. Dies spart auch Ressourcen in den Infrastrukturanlagen.

Ende der 1970er Jahre wurde die neue Lokomotivtype BB 22200 geschaffen, welche in großen Stückzahlen von den SNCF beschafft wurde. Sie bietet eine gute technische Lösung für das Problem des gleichen Leistungsvermögens in beiden Stromsystembereichen an. Hier hat man sich der Technik der Thyristorstromgleichrichter bedient und steuert mit Hilfe dieser elektronischen Stellglieder die Fahrmotoren der Lokomotive beim Fahren und Bremsen. Eine Gleichstromsteller ist ein schneller elektronischer Schalter, der – bei Fahrt unter dem Gleichspannungsfahrdraht – die anstehende Gleichspannung mehrere hundert mal pro Sekunde ein- und ausschaltet und durch Variation des Ein- und Ausschaltverhältnisses den Mittelwert der an den Motorklemmen anstehenden Gleichspannung quasi kontinuierlich variiert. Diese Technik hat sich in den letzten Jahren bei vielen Gleichstrombahnen durchgesetzt; in Deutschland und in Österreich wurden zuvor entsprechende Fahrzeugtypen wie zum Beispiel die Nahverkehrsbahnen in Wuppertal, Hannover, Graz und Linz.

Wenn die BB 22200 unter Wechselspannungsfahrleitung verkehrt, formen Lokomotivtransformator und Gleichrichter aus der anstehenden 25 kV-Wechselspannung eine Gleichspannung, die in etwa der 1500 V-Fahrleitungsspannung (wie sie auf Gleichspannungsstrecken üblich ist) entspricht. Diese Gleichspannung wird dann durch die Gleichstromsteller weiterverarbeitet und den Fahrmotoren zugeführt.

Die Konzeption sieht recht einfach aus. Sie konnte aber trotzdem erst im Laufe der 1970er Jahre auf breiter Basis realisiert werden, weil erst zum damaligen Zeitpunkt genügend leistungsfähige und entsprechend schnelle Halbleiter (Thyristoren) zur Steuerung der relativ hohen Gleichspannung zur Verfügung stehen. Außerdem waren Lösungen zu finden, welche die Rückwirkungen des schnellen elektronischen Schalters auf die speisenden Fahrleitungsnetze in zulässigen Grenzen halten.

Die SNCF-Reihe BB 22200 sind Maschinen mit 17.500 mm Länge über Puffer. Sie wiegen 89 Tonnen, wovon 52 Tonnen auf den mechanischen Teil entfallen, und weisen demzufolge eine Achslast von 22,25 Tonnen auf. Die Maschinen leisten rund 4.000 kW, das entspricht eine Zugkraft von 15 Mp bei etwa 95 km/h. Dieser Stundenleistung steht eine Dauerleistung von 3,6 MW gegenüber. Die Höchstgeschwindigkeit der BB 22200 ist mit 180 km/h festgelegt. Als elektrische Bremse ist eine fremderregte Gleichstrom-Widerstandsbremse vorgesehen. Sie wird im Normalbetrieb mit Hilfe der Gleichstromsteller geregelt und dabei aus Fahrleitungsspannung erregt; bei Notbetrieb erfolgt die Erregung aus der Bordbatterie.

Entsprechend der in Frankreich damals üblichen Technik hat die Maschine sogenannte Monomotordrehgestelle. In jedem Drehgestell ist nur ein Antriebsmotor vorhanden. Dieser Motor wirkt über Getriebe auf beide Achsen des Drehgestells. Der Achsstand im Drehgestell beträgt 2.800 mm. Die Motoren der ersten Serien waren bisher als selbstbelüftete Fahrmotoren ausgeführt, diese wurde bei späteren Serien auf eine Fremdbelüftung umgestellt. Außerdem wurde bei diesen Maschinen auch eine andere Getriebe-Übersetzung gewählt, womit die Höchstgeschwindigkeit nur mehr 100 km/h betrug.

Wie man die Loks in Frankreich bezeichnet, ist nicht ganz verständlich. Am Schluß des Beitrages ist wissenswertes zum SNCF-Nummernschema nachzulesen.


Modellvorstellung

Modelle dieser französischen Lokfamilie finden sich seit mehr als einem Jahrzehnt im Produktportfolio des Salzburger Herstellers. Wie bzw. aus welchem Anlaß (Neuheitenprogramm, Herbstneuheiten, Messeankündigung) die überarbeitete Neuauflage ins Programm genommen wurde, ist ad hoc nicht zu erruieren.

Roco liefert die überarbeitete Ausführung in mehreren Varianten aus, und zwar unter der Artikelnummer 73883 als Gleichstromlok zum UVP von  € 199,–, als Gleichstromlok mit Sound unter der Artikelnummer 73884 zum UVP von € 269,–. Zu den gleichen Konditionen ist das Wechselstrom-Modell – ebenfalls mit Loksound – unter der Artikelnummer 79884 im Fachgeschäft zu finden.

Verpackung

Die Auslieferung der BB 422369 erfolgt in der robusten Roco-Schachtel mit Überkarton. Das Modell ist in Folien gehüllt und liegt dort in einer Schutzhaube für das Dach im Schaumstoff in der paßgenauen Ausnehmung. Zum Lieferumfang gehören die Betriebsanleitung, das Ersatzteilblatt und ein Zurüstbeutel mit den weiteren Anbauteilen für die Selbstmontage.

Technik

Die technischen Komponenten basieren auf bisherigen Konstruktionsprinzipien. Das aus Kunststoff gefertigte Lokgehäuse ist auf dem Chassis aufgesetzt. Das Abziehen erfolgt durch seitliches auseinanderziehen der Seitenwände durch Lösen der Rastnasen. Ein fünfpoliger Mittelmotor mit Schwungmasse sorgt für den Antrieb über Kardanwellen und Stirn-/Schneckengetriebe auf die Achsen. Es sind alle Achsen angetrieben. Die dritte Achse verfügt beidseitig über zwei Haftreifen.

Die Fahrzeugplatine entspricht dem aktuellen Standard und ist über dem Mittelmotor auf dem Metallrahmen platziert. Neu ist die Berücksichtigung einer Schnittstelle nach NEM 658, sprich PluX22 mit dem Brückenstecker.

Fahrverhalten

Die Lok hat ein Eigengewicht von 470 Gramm. Das Vorbild hat eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Messungen bei 12 V Gleichstrom ergaben einen umgerechneten Wert von ca. 169 km/h. Die berechnete Modellgeschwindigkeit ist gegenüber der Vorbildgeschwindigkeit um ca. sechs % zu schnell, gegenüber dem NEM-Wert – unter Berücksichtigung der Erhöhung um 30 % – ist sie um ca. 24 % zu langsam. (Daten folgen)

Optik

Die ehemalige BB 22200 fällt durch ihr besonderes Design mit den halbhohen Vorbauten und der schräg nach oben vorgezogenen Dachkante auf. Roco hat die Außenform unverkennbar wiedergegeben. Der weitere Blick bringt nicht nur weitere Detaillierungen zu Tage, wie die Gravuren im Tür- und Fensterbereich oder dem großflächigen Lüftergitter in der Seitenwand. Viele Detaillierungen resultieren allein im Dachbereich wie gesickte Dachfelder über den Führerständen oder viele, eigens angefertige Ätzteile für die Dachroste als Trittflächen. Die Dachleitungen sind filigran umgesetzt, ebenso die Isolatoren und Hauptschalter. Die beiden Stromabnehmer fallen durch zarte Holme auf und tragen unterschiedliche Wippen sowohl für das Gleichstrom- als auch Wechselstromnetz der SNCF.

Im Lokgehäuse sind bereits werkseitig verschiedene Zurüstteile zur weiteren, optischen Aufbesserung des überarbeiteten Modells zu sehen. Sämtliche Griffstangen sind freistehend montiert, was insofern positiv ist, weil das Anbringen dieser Anbauteile ohne entsprechende Demontage anderer Formteile nicht möglich ist. Ebenso freistehend sind die Scheibenwischer und die UIC-Dosen zwischen dem Fenstersteg.

Die Drehgestelle der Lok sind dreidimensional durchkonstruiert, auf ihnen sind die Führerstandsstufen freistehend montiert.

Bedruckung und Beschriftung

Das Modell im grün/grauen „FRET“-Design ist durchwegs aufwendig lackiert und bedruckt. Die Lackierung ist trotz der schrägen Linienführung und der unebenen Übergangsflächen trennscharf und sauber ausgeführt. Die Anschriften sind lupenrein aufgetragen.

Die Lok ist mit der sechsstelligen Betriebsnummer 422369 versehen, wobei die erste Ziffer „4“ auf den Unternehmensbereich „FRET“ (Güterverkehr) schließt. Es findet sich kein Hinweis auf die Heimatdienststelle, dafür ist das Revisionsraster mit den Daten REV Peint 12.00 auf der Pufferbrust angeschrieben.

Beleuchtung

Gegenständliches Modell wurde bereits mit LED ausgestattet, die fahrtrichtungabhängig entweder zweimal weiß oder zweimal rot leuchten.


Bilder


Wissenswertes über das Nummernschema der elektrischen Triebfahrzeuge der SNCF

Alle alektrischen Lokomotiven tragen vor der Betriebsnummer, welche aus Reihen- und Ordnungsnummer besteht, die Angabe ihrer Achsfolge in bekannter, jedoch vereinbachter Form, wie zB BB oder CC für vier- bzw. sechsachsige Drehgestell-Lokomotiven, 2D2 für eine Steifrahmenlokomotive mit vier Treibachsen und je zwei Laufachsen in Drehgestellen an den Enden.

Dabei wird bei der SNCF grundsätzlich nicht unterschieden, ob die Antriebsachsen einzeln angetrieben (also wie bei der ÖBB üblich: Bo‘ Bo‘) oder gruppenweise gemeinsam von einem Großmotor (oder auch zwei) angetrieben werden (also nach deutscher Schreibweise B‘ B‘, wie es für Stangenlokomotiven üblich war.)

Gerade die letztgenannte Antriebsweise ist bei der SNCF sehr häufig und wird dort als „monomoteur“ (= „Einmotor“) bezeichnet. Die Kupplung der Radsätze eines Drehgestells erfolgt jedoch nicht über Tangen, sondern über große im Drehgestellrahmen gelagerte Getriebekästen, deren Übersetzungsverhältnis häufig entsprechend dem gewünschten Einsatzbereich (Reise- oder Güterzugverkehr) umgeschaltet werden kann. Viele der modernen E-Lok-Baureihen sind daher ausgesprochene Universaltypen. Aus diesem Grund auch wäre eine strenge Unterteilung der Reihennummern nach dem Verwendungszweck wenig sinnvoll.

Dagegen erwies sich bei der Struktur des Netzes mit einem fast gleich hohen Anteil an Wechsel- und Gleichstrom-Strecken als notwendig, die Verwendbarkeit nach den Stromsystemen zu ordnen:

1. Lokomotiven für 1500 V Gleichstrom – Reihen 1000 bis 9900:

Beispiele: 1CC1 3700, 2D2 5500, BBB 6000, CC 6500, CC 7100, BB 7200, BB 8500, 2D2 9100, BB 9200 und BB 9400.

2. Lokomotiven für 25 kV/50 Hz Wechselstrom – Reihen 10000 bis 19900:

Beispiele: BB 12000, BB 13000, CC 14000, CC 14100, CC 14500, BB 15000, BB 16000, BB 16500 und BB 17000.

3. Zweisystem-Lokomotiven – Reihen 20000 bis 29900:
a) für 1500 V Gleichstrom und 25 kV/50 Hz Wechselstrom,
b) für 25 kV/50 Hz Wechselstrom und 15 kV/16 2/3 Hz Wechselstrom

Beispiele zu a): CC 21000, BB 22200, BB 25100, BB 25200 und BB 25500

Sofern diese Lokomotiven mit reinen Wechselstrom- oder Gleichstrom-Lokomotiven sog. „Familien“ bilden, d. h. auf den gleichen mechanischen Teilen und Grundkomponenten der E-Ausrüstung aufbauen, wird ihre Reihen-Nummer über ein einfaches und einprägsames Additionsprinzip gebildet:

CC 21000 = CC 6500 + CC 14500
BB 22200 = BB 7200 + BB 15000
BB 25200 = BB 9200 + BB 16000
BB 25500 = BB 8500 + BB 17000

(Sofern Untervarianten gebildet werden, zB nur durch Änderung der Getriebeübersetzung, wird eine dicht daneben, sich um 100 unterscheidende Reihen-Nummer besetzt, wie 25100 statt 25200).

Beispiele zu b): BB 20100, CC 20200, C 20100 (Stangenrangierlok Schweizer Konstruktion)

Daneben gibt es noch verschiedene Zweisystem-Lokomotiven, die als Versuchsträger der späten 1950er Jahre ein Einzelgänger-Dasein führen und durch teilweise recht willkürliche Einordnung die Übersicht erschweren. Einige davon sind „unechte“ Zweisystemlokomotiven, weil sie nur bei einem Stromsystem die volle Nennleistung erbringen, im anderen eine relativ bescheidene Hilfsleistung zum einmaligen Anfahren bzw. Streckenräumen aufweisen.

4. Dreisystem-Lokomotiven für 1500/3000 Volt Gleichstrom und 25 kV/50 Hz Wechselstrom – Reihen 30000 bis 39900:

Beispiele: BB 30000

5. Viersystem-Lokomotiven für 1500/3000 Volt Gleichstrom und 16 kV/16 2/3 bzw. 25 kV/50 Hz Wechselstrom – Reihen 40000 bis 49900:

Beispiele: CC 40100 – für den Einsatz durch Belgien nach Deutschland und den Niederlanden.

Trotz der Zusammenlegung in „Familien“ ergit sich also eine erstaunliche Typenvielfalt durch ständige Neu- und Weiterentwicklung, ganz im Gegenteil zur Politik bei der Deutschen Bundesbahn, die sich seit 1956 bis zum Zeitpunkt der Beschaffung der BB 22200 auf acht Typen beschränkt hat, von denen fünf zu einer „Familie“ gehören.

Auch bei den elektrischen Triebwagen gibt es ausschließlich eine Zuordnung nach Stromsystemen, jedoch mit dem Zusatzbuchstaben „Z“.

1. Gleichstrom-Triebwagen – Reihen Z 1000 bis 5900:

Beispiele: Z 1200, Z 1300, Z 1400, Z 1500 – alte Pariser Vororttriebzüge für 650 bzw. 750 V Gleichstrom; Z 3600 – auf 1500 V Gleichstrom umgebaute Pariser Vororttriebzüge; Z 4000, Z 4100, Z 4200, Z 4300, Z 4400 usw., zweiteilige Triebzugbaureihen für 1500 Volt Gleichstrom mit nur geringen Bauunterschieden für den Nah- und Bezirksverkehr.

2. Wechselstromtriebwagen – Reihen Z 6000 bis 9900:

Beispiele: Z 6001 bis 6004 – Versuchsfahrzeuge; Z 6006 bis 6009 – Neubau-Prototypen, Z 6100 – zweiteilige Vororttriebzüge (Serienbauart mit einem einmotorigen Drehgestell „monomoteur“); Z 8000 – Versuchsfahrzeuge mit Thyristorsteuerung.

3. Zweisystem-Triebwagen – waren damals noch in Entwicklung.

Die damals neu entwickelten Hochleistungs-Schnelltriebzüge „TGV“ machten aufgrund ihrer Konfiguration eine abweichende Regelung erforderlich. Die an den Enden laufenden Antriebseinheiten werden als „Triebköpfe“ wie Lokomotiven behandelt und unter der Reihe „23000“ eingeordnet, da sie in ihrem Grundkonzept Zweisystem-Fahrzeuge, wenn auch mit elichten Leistungsunterschieden der Systeme, sind. Jeweils ein „Nummernpärchen“ (zB 23001/23002) und bis zu acht Zwischenwagen bilden eine Zugeinheit. Voraussichtlich zehn Züge werden für Dreisystem-Betrieb ausgerüstet und folglich unter der Reihe 33000 eingeordnet werden.